Der kleine Fluechtling
Wirtshaustisch.
»Der Gugler, der alte Sakra, der hat immer ganz genau gwusst, wo er sein Bloch hinlegt. Aufn Millimeter hat er’s hinzirkelt.«
»Freilich, freilich, keiner von uns hat da mithaltn können.«
»Aber interessieren tät’s mich schon, wie er den dicken Stamm heimlich durchsägen hat können. Der Minna der Ihre müsst das doch mitkriegt ham.«
Schweigen in der Runde.
»Der alte Sauhund hat beizeiten einen Keil aus derer Tanner rausgsägt.«
»Schmarrn, dann wär die ja gleich umknickt.«
»Er hat den Keil stecken lassen, deswegn hat sich die Tanner net grührt. Am Tag drauf nimmt er den Schwiegersohn mit ins Holz und zeigt ihm ein Rastplatzl direkt unterm Stamm.«
»Wird nix gegen eine Verschnaufpause ghabt ham, der Minna der Ihre.«
»Gwiss net, gwiss net.«
»Dem is jedes Platzl recht gwesen zum Niederhockn und Faulenzen.«
»Ja, und das hat dem Gugler Zeit geben, dass er um die Tanner rumschlupft und den Stamm von der anderen Seiten her ansägt. So was dauert net lang. Dann is er wieder auf die herübere Seiten und hat den Keil rausghaut.«
»Freilich, und dann hat’s duscht.«
»Wenn er’s so gmacht hätt, hätt’s ihn selber derwischt, wo er doch genau in der Falllinie gstanden wär.«
»Mei, der is halt gstutzelt.«
»So schnell stutzelt der net.«
Der Wirt gab eine Runde Schnaps aus und meinte: »Das Risiko hat er eben eingehn müssen.«
»Niemals! So bled war der Gugler net, der hat immer schon Nägel mit Köpf gmacht.«
»Jawohl, der hat nämlich den Keil an einen Strick anbunden, an einen langen Strick. An dem hat er dann zogen, bis der Keil heraußen war.«
»Geh, wast net sagst. Das wennst mir vormachst, wie er einen Keil, der wo im Stamm steckt, anbunden hat, dann zahl ich dir bis auf Weihnachten jeden Tag eine halbe Bier und einen Schnaps.«
»Dann is er halt doch gstutzelt.«
»Is er net!«
Wieder breitete sich dumpfes Schweigen aus, der Pegel in den Gläsern sank dramatisch.
»Wissts, was schon komisch is?«
Stumme, fragende Blicke.
»Dass grad einen Atemzug bevor das Bloch der Minna den Ihren derdruckt hat, ein Schuss gfalln is. Knallt hat’s wie beim Hochzeitschießen, aber bloß ein einzigs Mal.«
Die Waldhäuslerköpfe zuckten hoch, als es ihnen wie Schuppen von den Augen fiel.
»Karbid!«
»Herrgott, Karbid.«
»So ein Sakra, der Gugler, schießt der den Keil mit einer Karbidbomben ausser.«
»Freilich, freilich, so hat er’s gmacht. Mit dem Pulver hat nie nicht keiner so gut umgehn können wie er. Wissts es noch, wie er den Riegel vom Posthalter sein Schnapslager weggschossen hat?«
»Mit dem Stopsel von einem Flachmann.«
»Herrgott, beim Karbidschießen hat dem Gugler keiner ankönnen, ganze Nächt lang hat der gschossn, wenn eine Hochzeit angsagt gwesen is.«
Das Rezept, nach dem die Waldhäusler von jeher ihre Böller bastelten, die ein halbes Dutzend Hochzeitsglocken akustisch weit in den Schatten stellen konnten, war denkbar einfach:
Man nehme einen stabilen Blechbehälter mit einer Öffnung vorne und bohre ihm hinten ein kleines Loch hinein. Man fülle etwas Wasser in das Bömbchen und gebe ein Karbidwürfelchen dazu. Sodann verschließe man die vordere Öffnung fugenlos mit einem Stöpsel. Man lasse das Ganze eine Weile ruhen. Alsdann führe man sachte einen entzündeten Holzspan an das hintere Löchlein. Man halte sich dabei sorgfältig aus der voraussichtlichen Flugbahn des Stöpsels.
»Der hat den Keil rausgschossen«, echote der Wirt hinter der Theke.
»Herrgott, mit einem Stopsel aus Blei.«
»Aus Eisen.«
»Aus Kruppstahl.«
»Meinst, hat der Gugler, der Sakra, die Karbidbomben in dem Baumstamm innen drin einbaut?«
»Ah wo, da hätt er ja so ein Trumm Loch reinbohrn müssen. Na, das wär net gangen.«
»Der Gugler hat die Ladung außen an die Fichten angschraubt oder am Baum daneben, und so einwandfrei hat er das Gschoss ausgricht, dass es den Keil mit einem Volltreffer rausdroschen hat – wumm!«
»Sakrament, schießt der Gugler mit dem Karbid den Keil aus dera Fichten.«
Der Coup brachte dem Gugler-Bauern posthum ein minutenlanges ehrfurchtsvolles Schweigen um den Wirtshaustisch ein.
In der Küche murmelte die Wirtin: »Karbidgschoss, so ein Schmarrn. Der Gugler hat den Keil rausgschlagen, und dann hat er den Stamm von hinten angsägt. Wie sie’s halt immer machen. Warum sollt er denn die Sach auf einmal umkehrn?«
»Weil«, meldete sich da ihr zwölfjähriger Sohn zu Wort, der längst im Bett sein sollte,
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