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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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Früh gehst mit dem Vater aufn Steinfelsen und hilfst ihm beim Holzschlag.«
    Wollis Erzeuger war die Lust, mit Carmen draußen im Freien Verstecken zu spielen, vergangen.
    Am Morgen warf sich das Fossil – statt wie sonst ein Getue um Sägen und Äxte, um Schleifsteine und allen möglichen Kram zu machen – nur eine einzelne starke Axt über die Schulter und stiefelte los.
    Eineinhalb Stunden lang wanderten sie bergwärts.
    Weit oben am steinigen Lusenhang steuerte das Fossil dann einen bemoosten Felsbrocken an, röchelte ein »Sitz di nacher her da« und klopfte mit der flachen Hand auf den weichen Bewuchs. Wollis Erzeuger interpretierte das als Aufforderung, an dieser Stelle auf ihn zu warten.
    Der Alte verschwand zwischen den Bäumen.
    Sonderbar, wunderte sich Wollis Erzeuger, gewöhnlich scheißt und pinkelt die Sau doch genau auf den Fleck hin, auf dem sie gerade steht.
    Vom Alten war nun nichts mehr zu sehen.
    Wollis Erzeuger fläzte sich rücklings über den gepolsterten Stein, sah die Tannen- und Fichtenwipfel über seinem Kopf tanzen und wünschte sich, Minnas Vater würde beim Scheißen der Schlag treffen.
    Nach einigen Minuten hörte er ganz in der Nähe einen scharfen Knall, entschied jedoch, dass ihn Schüsse im Wald nichts angingen. Sollten Förster und Wilderer doch abknallen, was sie wollten.
    Gedankenverloren starrte er in die Gipfel, die auf einmal schwankten, als wäre Sturm aufgekommen. Sie ächzten und jammerten, stöhnten und knarzten.
    Plötzlich hörte er Holz splittern. Der Laut klang hell und scharf aus dem Felsennest, in dem sich eine riesige Tanne verwurzelt hatte, die keinen Steinwurf weit von dem Plätzchen aufragte, auf dem er lümmelte. Verdammt, was fuhrwerkte denn der Alte da herum?
    Es war längst zu spät, als Wollis Erzeuger begriff, was das Splittern zu bedeuten hatte. Der Gipfel jener großen Tanne schwankte bereits auf ihn zu. Ihr Stamm schnitt eine Schneise durch die Äste der benachbarten Bäume.
    Im selben Moment, in dem Wollis Erzeuger zu ahnen begann, wo die Tanne aufschlagen würde, brachen bereits seine Rippen. Sein sich trübender Blick fand noch mal hinauf in die schwingenden Wipfel. Plötzlich schob sich die Fratze des Fossils vor seine Augen. Mit dem letzten Atemzug fragte sich Wollis Erzeuger erstaunt, wann das Fossil grinsen gelernt hatte.
    »Genau so ghörts ihm, dem Hurenbock, dem dreckigen«, schnaufte Minnas Vater befriedigt. »Fünf Ster Holz hat’s ihm auf den Ranzen droschn, fünf Ster Holz, die wo ihm die Luft abdruckt und ihm seinen Schweinigel derbazt ham.«
    Der Gugler-Bauer tätschelte anerkennend den Baumstamm, der so vorzügliche Arbeit geleistet hatte.
    »Ja, ja, so ghörts einem«, murmelte er, »einem, der wo kein Gnugkriegen hat mit der Hurerei, der wo am End noch aufs eigene Kind hinlangen tät.«
    Er warf einen letzten verächtlichen Blick auf seinen soeben verblichenen Schwiegersohn und trollte sich.
    Mit dem Rückweg ließ sich der Gugler-Bauer Zeit. Er pfiff ein Liedchen, paffte ein Pfeifchen und lachte sich ins Fäustchen. Als das erste der Waldhäuser in Sicht kam, blieb er stehen, hielt gut vierzig Sekunden lang die Luft an, um glaubwürdig außer Atem zu sein, dann stolperte er auf die offene Haustür zu.
    »Helfts!«, schrie er in schrillem Diskant. »Mei, helfts mir halt – der Minna den Ihren … den derdruckts … das Bloch derdrucktn … kommts ausser … helfts!«
    Weil sich auf diese Darbietung hin nichts rührte, hüpfte der Gugler-Bauer über die Schwelle in die Flez.
    Minnas Vater hatte alles minutiös geplant. Wochenlang hatte er darüber gebrütet, wie der Ehemann seiner Tochter am geschicktesten aus dieser Welt zu schaffen wäre.
    Natürlich hätte er ihm einfach hinterrücks eins über den Schädel geben können. Er hätte ihm das Brotmesser bis zum Ansatz in den Wanst rammen können, weil Minnas Ehemann, dieser Saubeutel, sein Leben endgültig verwirkt hatte.
    Aber der Alte wollte sich nicht damit zufriedengeben, ihn bloß aus dem Weg zu räumen. Sein Tod sollte nicht nur größtmöglichen Nutzen bringen, sondern auch dem Gugler-Bauern nicht zur Last gelegt werden können.
    Womöglich hätte er Wollis Erzeuger die Hurereien stillschweigend durchgehen lassen, hätte sogar geschluckt, was über dessen Aktivitäten während des Krieges langsam durchsickerte. Aber für die Eskapaden seines Schwiegersohnes in Ringelai fehlte ihm jegliches Verständnis. Und als ihm aufging, wohin die abendliche Schoßhopserei mit Carmen

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