Der kleine Fluechtling
»sogar ein Blindgänger wie der Minna der Ihre gspannt hätt, dass da was im Busch is, wenn er die Säg ghört hätt und gleichzeitig das Knarzn und Stöhnen von dem Tannerbaum. Der hat nämlich gwusst, wie sich’s Baumfälln anhört.«
»Schaust net gleich, dass du ins Bett kommst, Rotzlöffe, siebengscheiter!«, stauchte ihn die Wirtin zusammen.
»Auf den Gugler, den Sakra«, prostete der Wirt im Schankraum seinen Gästen zu und spendierte ihnen noch eine Runde Schnaps. Damit löste er ihre Zungen wieder. Die Waldhäusler begannen, in Erinnerungen zu schwelgen.
»Vorm Krieg is des gwesen, lang vorm Krieg, wo ich mit dem Gugler jeden Tag in aller Früh auf Ringelai gangen bin und dann weiter an der Wolfsteiner Ohe entlang und über die Hängebrücken rüber zum Karbidwerk.«
»Herrgott, pfundweis ham mir die Karbidwürfel damals heimbracht.«
»Freilich, freilich, ohne unsere Karbidlampen wärn mir Bayerwäldler im Dunkeln ghockt.«
»Sakrament, ich hab noch ein ganzes Sackl voll Karbidwürferl daheim.«
»Ich und der Gugler, mir ham fuffzehn Jahr lang mit der Spitzhacken den Kalkstein ausm Felsen brochen und in Schmelzofen reingschaufelt. Tag für Tag bei der Hitz und bei der Kälten.«
»Herrgott, bei der Hitz is am härtesten gwesen.«
»Freilich, freilich, die Arbeit war im Winter leichter. Dafür is oft kein Durchkommen mehr gwesen zwischen Ringelai und Waldhäuser.«
»Ich hab eine Tant ghabt im Dorf, die hat mich auf der Ofenpritschen schlafen lassen, wenn der Schnee zwei Meter hoch glegen is.«
»Der Gugler is meistens bei der Dorfflitschen unterkrochen.«
»Die hat jeden reinlassen in ihre Kammer.«
»Am öftesten war der Gugler drin.«
»Herrgott, und dann is die Dorfflitschen schwanger wordn.«
»Wann is denn des gwesen, wo die schwanger wordn is?«
»’33, das weiß ich gwiss. Weil genau in dem Sommer, wo die Dorfflitschen entbunden hat, hats der Guglerin den linken Haxen abdruckt.«
»Das war, wo am Gugler-Hof des Schupfendach einbrochen is.«
»Drei Stund is die Guglerin daglegn, mit dem Haxen unter etlichen Zentner Holz.«
»Herrgott, ja, und nimmer is die wordn.«
»Da is fürn Gugler aus gwesen mit der Arbeit im Karbidwerk. Hat net mehr wegkönnen von sein Hof.«
»Und die Dorfflitschen is ihn um Alimente angangen fürs Kind.«
»Aber der Schnabel is derer sauber blieben. Is ja schier jeder in Frage kommen für die Vaterschaft, der wo einen hochkriegt hat zu der Zeit.«
»Was is denn eigentlich wordn aus dem Kind?«
»Herrgott, a Flitschen, was sonst. Is noch keine vierzehn gwesen, da hat die schon aufspringen lassen.«
»Freilich, freilich. Die lasst sich auf alles ein. Der Minna der Ihrige solls mit dem Ochsenziemer verdroschen haben, geht die Red.«
»Herrgott, der Minna der Ihrige is eine Drecksau gwesen.«
»Sakrament, dem hat’s nicht anders ghört.«
Damit gelangten die Waldhäusler wieder in die Gegenwart, die Faszination der Erinnerungen verzog sich, und zurück blieb das Wissen um einen Mord, kaltblütig vorbereitet und unbarmherzig ausgeführt. Zurück blieb auch die unbeantwortete Frage: Rechtfertigte der Tod eines Hurenbockes, Saubeutels, Schweinehundes solch ein heimtückisches Verbrechen?
Der Wirt gab eine letzte Runde Schnaps aus.
»Sowie der Rotschädel auf die Welt kommen is«, tratschten unterdessen die Weiber in den Stuben, »hat man sich’s denken können, dass der Minna der Ihre ein schlechter Mensch is.«
»Keinen straft der Herrgott umsonst, schon gar nicht mit einem Kind, wo feuerrote Haar hat.«
»Ein Zeichen is das, ein Omen.«
»Ja, ja, eine Signatur vom Teufel.«
»Wenn die Minna net so stur gwesen wär, dem Kind ein Amulett (die Posthalterin sprach es »Namenedl« aus) mit dem Bildnis der Heiligen Jungfrau umghängt und das Madl auf einen christlichen Namen tauft hätt, dann wär vielleicht alles noch gut ausgangen.«
»Glaub bloß des net. Wenn der Teufel wo drinsteckt, is kein Auskommen mehr.«
Minna konnte die scheelen Blicke nicht übersehen, das böse Raunen nicht überhören, und sie wusste sehr wohl, dass sich das Gerede so bald nicht legen würde.
Es wurde deshalb Zeit für sie, von hier zu verschwinden.
»Eine Schönheit wie Carmen«, sagte sie großsprecherisch und in geschliffenem Hochdeutsch zu der Fotografie ihres Mannes, die über der Kredenz hing, »deren glänzend rotes Haar dem Reiz des ebenmäßigen Gesichts und dem Zauber der vollendeten Figur das i-Tüpfelchen aufsetzt, ist hier draußen am öden Lusenhang
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