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Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)

Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)

Titel: Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz , Joja Wendt
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durchsichtig, und der Flügel erkannte die Umrisse eines Instrumentes – die Umrisse einer Lyra. Blau leuchtend, mit drei Saiten, aber starr inmitten des Steines gefangen. Und aus dem Nichts ertönte plötzlich eine tiefe Stimme, die immer wieder einen Satz wiederholte: «Befreie die göttliche Kraft! Befreie die göttliche Kraft!»

    Dann donnerte es. Der Flügel befand sich auf einmal in Lützenried vor dem Auktionshaus und sah sich drinnen im Saal stehen. Ein Gewitter tobte. Blitze zuckten am nächtlichen Himmel. Vor ihm, im dunklen Saal, standen die rothaarige Frau und der grobe Kerl. Beide hatten ihre Münder zu jenem grausigen Gesang geöffnet, den er damals hatte hören müssen. Und dann sah er in der Hand des Kerls die lange, geheimnisvolle Schnur, und sie leuchtete im gleichen blauen Licht wie die Lyra. Und jetzt erkannte er den Zusammenhang, erkannte, was die sich windende, leuchtende Schnur wirklich war: Der finstere Mann hielt die vierte Saite der Lyra in der Hand! Das hatte sie ihm zeigen wollen, als sie das Emblem auf seinem Korpus vor seinem geistigen Auge erscheinen ließ.
    Der Saal des Lützenrieder Auktionshauses war plötzlich ganz von dem magischen blauen Leuchten erfüllt, und dann waren der Flügel und die beiden Gestalten verschwunden, als ob es sie nie gegeben hätte.
    Und auch der träumende Flügel war nun wieder in Theodoras Welt. Er sah die Orgel dirigieren, und alle Instrumente folgten ihr. Theodora öffnete ihre Windkanäle, füllte ihre Pfeifen und fiel mit mächtiger Stimme in das Konzert ein. Der Flügel sah nun in seinem Traum das Monument; es erzitterte. Aus seiner Rückseite führten längliche steinerne Verdickungen heraus, wie die Wurzeln eines Baumes. Sie reichten bis zur Wand, ragten hoch bis zur Decke und verschwanden dort wie übergroße Adern, die etwas Hungriges nährten.
    Der Raum begann sich zu drehen, und dem Flügel wurde schwindelig. Er wurde angehoben, raste heraus aus Theophanus Raum, dann durch die Halle, hinaus aus den weit geöffneten Toren und hinein in den dunklen Himmel der Musikwelt. Dort flog er in rasender Geschwindigkeit über die Ebene. Er erkannte unter sich das tonlose Tal, die Berge, dann die Halle des Bergkönigs. Er raste drauf zu. Schneller, immer schneller, und kurz bevor er am großen Tor zerschellte, erwachte er und rief mit schläfriger Stimme: «Befreie die göttliche Kraft!»
    «Hä?», fragte Moog. «Wen soll ich befreien? Den göttlichen Saft?»
    «Guten Morgen, mein Freund», sagte Strato. «Du hast sehr lange geschlafen und anscheinend wild geträumt. Es war kaum auszuhalten, so sehr hast du geruckelt, gezuckelt und dich hin und her geworfen. Stimmt’s, Fendi?»
    «Es war krass», sagte der Bass.
    «Erinnerst du dich an deinen Traum?», fragte Tri.
    «O ja», sagte der Flügel, noch etwas benommen. «Ich erinnere mich.»

    Und dann begann er zu erzählen. Gebannt lauschten seine vier Gefährten, und als er seine Geschichte beendet hatte, waren alle eine ganze Weile sehr still.
    «Das heißt», begann Strato schließlich, «dass die Orgel diese mächtige Lyra im Monument eingemauert hat.»
    «Wenn mein Traum mir die Wahrheit gesagt hat», sagte der Flügel nachdenklich. «Ich weiß ja nicht, ob es stimmt.»
    «Aber wenn es so ist, sollst du, mein Freund, diese Lyra befreien», warf Moog ein.
    «Aber wie?», fiepte Tri.
    «Ja», sagte der Flügel leise, «das ist die Frage. Wie soll ich das machen?»
    «Wie sollen WIR das machen?», verbesserte ihn Strato. «Wir machen das natürlich zusammen. Wozu sind Freunde da?»
    Die anderen nickten.
    «Der Orgel zeigen wir’s», tönte Tri und ballte seine kleine Faust.

    Dem Flügel wurde es ganz warm um die Saiten. Aber trotz seiner Rührung hatte er nicht den geringsten Schimmer, wie die Lyra aus dem Inneren des Monumentes befreit werden konnte, geschweige denn, wie er und seine Gefährten überhaupt ungesehen in den Turm gelangen sollten. Und bisher war allein ein Traum die Grundlage ihres Vorhabens. Er wusste nur eines: Diese Lyra – sie war der Schlüssel im Kampf gegen die Orgel! Vielleicht konnte er den Bergkönig ja doch überreden, ihnen zu helfen.

[zur Inhaltsübersicht]
    Der Tunnel
    W enig später bat der Flügel um eine Audienz beim Bergkönig, wurde vorgelassen und erzählte ihm von seinem Traum und seinem Plan, die Lyra befreien zu wollen. Der Herr der Rhythmen schwieg lange. Dann sagte er: «Was für eine gewaltige Aufgabe, kleiner Flügel. Ich habe aber meine Meinung nicht

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