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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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können. Oben hatte sie innerlich gebebt und sich gewunden, als die Brüder in der erleuchteten Tür vor ihr aufgeragt waren: Riesen allesamt, von überwältigender Masse, sonnenverbrannt und narbig und tätowiert und schmierig, hatten sie mit ihren steinernen, hellfarbigen Augen auf sie herabgestarrt. Der schmutzigste und massigste von ihnen – bärtig, mit buschigen schwarzen Haaren und einem gespenstisch weißen Fischauge wie der blinde Pew in der Schatzinsel – hatte mit der Faust gegen den Türrahmen geschlagen und so unflätig und ausgiebig und mit so erschreckender Wut geflucht, dass Harriet schockiert zurückgewichen war. Jetzt zerstampfte er methodisch und mit fliegender, grausträhniger Mähne die Überreste eines Rücklichts mit seinem Stiefelabsatz zu Splittern. Mit seinem Muskelmanntorso und seinen kurzen Beinen sah er aus wie der ängstliche Löwe, nur böse.
    »Du sagst, die hatten kein Auto?« Der Prediger wandte ihr sein Narbengesicht zu und musterte sie.
    Harriet hielt den Blick gesenkt und schüttelte stumm den Kopf. Die Lady mit dem Chihuahua, in einem ärmellosen Nachthemd und mit Flipflop-Badelatschen, am dürren Handgelenk ein rosafarbenes Krankenhausarmband, schlurfte wieder zu ihrem Haus zurück. Sie war mit dem Hund auf dem Arm herausgekommen, Zigaretten und ein Feuerzeug in einer geprägten Lederhülle in der Hand, und war am Rand ihres Vorgartens stehen geblieben, um zu sehen, was los war. Über ihre Schulter hinweg starrte der Chihuahua, der immer noch kläffte, Harriet ins Gesicht und zappelte, als wünsche er sich auf der ganzen Welt nichts so sehr, wie dem Griff seiner Herrin zu entrinnen und Harriet zu zerreißen.
    »Er war weiß?«, fragte der Prediger. Er trug eine Lederweste über seinem kurzärmeligen weißen Hemd, und sein graues Haar war zu einer hohen, welligen Tolle ölig zurückgekämmt. »Sicher?«
    Harriet nickte und zog sich demonstrativ schüchtern eine Haarsträhne ins Gesicht.
    »Du läufst heute Abend aber mächtig spät durch die Gegend. Hab ich dich vorhin nicht auf dem Platz gesehen?«
    Harriet schüttelte den Kopf und schaute angelegentlich zum Haus zurück. Genau in dem Augenblick kam Hely mit leerem Gesicht, weiß wie ein Laken, die Treppe heruntergestürmt. Er flog die Stufen herunter, ohne Harriet oder sonst jemanden zu sehen – und prallte frontal gegen den einäugigen Mann, der eben etwas in seinen Bart brummte und mit gesenktem Kopf und sehr schnellem Schritt zum Haus zurückging.
    Hely taumelte zurück und stieß einen grässlichen, keuchenden dünnen Schrei aus. Aber Farish walzte einfach an ihm vorbei und polterte die Treppe hinauf. Er machte ruckartige Kopfbewegungen und sprach in abgehacktem, wütendem Ton (»... versuch’s lieber nicht, lieber nicht...«), als rede er mit einer unsichtbaren, aber doch genau erkennbaren Kreatur, etwa einen Meter hoch, die hinter ihm die Stufen hinaufkraxelte. Dann schoss wie aus dem Nichts sein Arm vor und schlug in die leere Luft: ein harter Schlag, als treffe er tatsächlich jemanden damit, irgendeinen buckligen bösen Geist, der ihm auf den Fersen war.
    Hely war verschwunden. Plötzlich fiel ein Schatten auf Harriet. »Wer bist du?«
    Harriet erschrak heftig. Als sie hochblickte, sah sie Danny Ratliff vor sich stehen.
    »Hast es bloß zufällig gesehen?« Er stemmte die Hände in die Hüften und schleuderte sich das Haar aus dem Gesicht. »Wo warst du denn, als hier die Fenster zerschmissen wurden? Wo kommt sie her?«, fragte er seinen Bruder.
    Harriet starrte verdattert zu ihm auf. Als sie sah, wie überrascht er die Nasenflügel blähte, war ihr klar, dass der Abscheu ihr unübersehbar ins Gesicht geschrieben stand.
    »Guck mich nicht so an«, fauchte er. Aus der Nähe gesehen, war er wölfisch braun und dünn. Er trug Jeans und ein schlabbriges, langärmeliges T-Shirt, und seine Augen mit den schweren Lidern unter dichten Brauen hatten einen niederträchtigen, leicht verrutschten Ausdruck, der sie nervös machte. »Was ist los mit dir?«
    Der Prediger machte einen ziemlich aufgeregten Eindruck; er schaute unaufhörlich die Straße hinauf und hinunter, verschränkte die Arme vor der Brust und klemmte die Hände unter die Achseln. »Keine Sorge«, sagte er mit seiner überfreundlichen Stimme. »Wir beißen dich nicht.«
    Trotz ihrer Angst konnte Harriet nicht umhin, die klecksig blaue Tätowierung an seinem Unterarm zu bemerken und sich zu fragen, was sie wohl darstellen sollte. Und was war das für ein

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