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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Zirkus auftreten.« Farish betrachtete Loyal mit neuem Respekt. »Das ist vielleicht’n Trick. Wer hat dir beigebracht, so zu pfeifen?«
    »Schlangen hören auf mich«, sagte Loyal bescheiden, und alles starrte ihn an.
    »Ho!« Farish legte ihm den Arm um die Schultern; der Schlangenpfiff hatte ihn so sehr beeindruckt, dass er seine Wut ganz vergessen hatte. »Glaubst du, du kannst mir das auch beibringen?«
    Danny starrte aus dem Fenster. »Hier ist was Komisches im Gange«, murmelte er.
    »Was war das?«, blaffte Farish und fuhr herum. »Wenn du mir was zu sagen hast, Danny-Boy, dann sag’s mir ins Gesicht.«
    »Ich hab gesagt, hier ist was Komisches im Gange. Die Tür da war offen, als wir raufgekommen sind.«
    »Gene.« Loyal räusperte sich. »Du musst den Leuten da unten Bescheid sagen. Ich weiß, wo sie hin ist. Sie ist durch den Heizungsschacht runter und macht es sich bei der Warmwasserleitung bequem.«
    »Was glaubst du, wieso sie nicht zurückgekommen ist?«, fragte Farish. Er spitzte den Mund und versuchte erfolglos, das unirdische Pfeifen zu imitieren, mit dem Loyal nacheinander sechs Waldklapperschlagen aus verschiedenen Ecken des Zimmers herangelockt hatte. »Ist sie nicht so gut abgerichtet wie die andern?«
    »Die sind alle nicht abgerichtet. Sie mögen dieses Gebrüll und Gestampfe nicht. Nein«, sagte Loyal, und er kratzte sich am Kopf und spähte durch das Gitter, »sie ist weg.«
    »Und wie willst du sie wiederkriegen?«
    »Hör mal, ich muss zum Arzt«, heulte Eugene und rieb sich das Handgelenk. Seine Hand war so geschwollen, dass sie aussah wie ein aufgeblasener Gummihandschuh.
    »Verdammt!« Farish strahlte. »Du bist wirklich gebissen worden!«
    »Ich sag doch, ich bin gebissen worden! Da, da und da!«
    Loyal kam herüber, um sich die Hand anzusehen. »Sie benutzen nicht immer ihr ganzes Gift für einen Biss.«
    »Das Biest hat an mir gebaumelt!« Der Raum begann, sich an den äußeren Rändern schwarz zu färben; seine Hand brannte, und er fühlte sich high und gar nicht so übel – so wie damals in den Sechzigern im Gefängnis, vor seiner Errettung, wenn er sich bedröhnt hatte, indem er in der Wäscherei Reinigungsflüssigkeit geschnüffelt hatte: Da hatten die dampfigen Hohlblockkorridore sich um ihn zusammengezogen, bis er alles durch einen engen, aber eigenartig angenehmen Kreis gesehen hatte, als schaute er durch eine leere Klopapierrolle.
    »Ich bin schon schlimmer gebissen worden«, sagte Farish, und das war er tatsächlich, Jahre zuvor, als er auf einem Feld, das er roden wollte, einen Stein aufgehoben hatte. »Loyle, hast du für solche Fälle auch’n Pfiff?«
    Loyal nahm Eugenes geschwollene Hand. »O je«, sagte er bedrückt.
    »Na los!«, sagte Farish fröhlich. »Bete für ihn, Prediger! Ruf den Herrn für uns an! Mach deinen Kram!«
    »So funktioniert das nicht. Junge, das kleine Kerlchen hat dich ordentlich erwischt!«, sagte Loyal zu Eugene. »Genau in die Vene hier.«
    Rastlos fuhr sich Danny mit der Hand durch die Haare und wandte sich ab. Seine Glieder waren steif und schmerzten vom Adrenalin, seine Muskeln waren angespannt wie Klaviersaiten, er wollte noch eine Nase, er wollte raus aus dieser Mission, es war ihm egal, ob Eugene der Arm abfiel, und von Farish hatte er auch die Schnauze voll. Da schleifte Farish ihn den ganzen Weg bis in die Stadt – aber war Farish rausgegangen, um den Stoff in Loyals Truck zu verstauen, als er Gelegenheit dazu gehabt hatte? Nein. Er hatte fast eine halbe Stunde rumgesessen, wohlig auf seinem Stuhl zurückgelehnt, und das faszinierte Publikum genossen, das er in dem höflichen kleinen Prediger gehabt hatte, hatte geprahlt und angegeben und Geschichten erzählt, die seine Brüder allesamt schon eine Million Mal gehört hatten, und überhaupt ununterbrochen rumgequatscht. Danny hatte angefangen, gar nicht so zarte Andeutungen zu machen, aber er war immer noch nicht rausgegangen, um die Drogen aus dem Seesack zu holen und sie da
zu verstauen, wo er es geplant hatte. Nein: Er war jetzt viel zu sehr interessiert an Loyal Reese und seinen Klapperschlangen. Und er hatte sich allzu leicht von Reese einwickeln lassen: viel zu leicht. Manchmal, wenn Farish high war, fuhr er auf irgendwelche Ideen und Fantasien ab und wurde sie überhaupt nicht mehr los. Man wusste nie, was seine Aufmerksamkeit gefangen nehmen würde. Irgendeine bedeutungslose Kleinigkeit – ein Witz, ein Zeichentrickfilm im Fernsehen – konnte ihn fesseln wie ein Baby.

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