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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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rauschhaftem, ritualisiertem Grauen. Es war unmöglich, jetzt aufzuhören, das Spielzeug wegzuräumen, die Schachfiguren umzustoßen und von vorn anzufangen.
    Sie drehte sich um und rannte los. Hinter ihr ein Klappern, ein Luftzug, und im nächsten Augenblick schleuderte Helys Fahrrad an ihr vorbei, schoss die Rampe hinunter und flog auf dem Highway davon – jeder war jetzt sich selbst der Nächste. Hely duckte sich über die Lenkstange wie einer der geflügelten
Affen aus dem Zauberer von Oz und trat wild in die Pedale.
    Harriet rannte mit pochendem Herzen, und die matten Schreie der Kreatur (aiii  ... aiii ...) hallten sinnlos in der Ferne. Der Himmel loderte hell und mörderisch. Herunter von der Straße... hier, auf dem Gras jetzt, vorbei an dem Zaunpfahl mit dem »Betreten verboten«-Schild und halb über die Weide... Was sie sich im tiefenlosen Gleißen auf der Brücke zum Ziel genommen und getroffen hatten, war nicht so sehr der Wagen selbst als vielmehr ein Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab: Die Zeit war jetzt ein Rückspiegel, und die Vergangenheit raste rückwärts davon und verschwand hinter dem Horizont. Rennen würde sie vorwärts bringen, vielleicht sogar nach Hause, aber nicht zurück – nicht zehn Minuten, nicht zehn Stunden, nicht zehn Jahre oder Tage. Und das war hart, wie Hely sagen würde. Hart: Denn zurück, das war die Richtung, in die sie laufen, die Vergangenheit der einzige Ort, an dem sie sein wollte.

    Zufrieden glitt die Kobra ins hohe Unkraut der Kuhweide, in eine Hitze und Vegetation, die der ihrer Heimat nicht unähnlich war, glitt davon in die Fabeln und Legenden der Stadt. In Indien hatte sie an den Rändern von Dörfern und Feldern gejagt (war im Dämmerlicht in Kornspeicher geschlüpft und hatte sich von Ratten ernährt), und nun passte sie sich bereitwillig an die Scheunen und Silos und Müllkippen ihrer neuen Heimat an. Noch jahrelang würden Farmer und Jäger und Betrunkene die Kobra sichten, Neugierige würden versuchen, sie aufzutreiben, um sie zu fotografieren oder zu töten, und viele, viele Geschichten über mysteriöse Todesfälle würden ihren lautlosen, einsamen Weg begleiten.

    »Wieso warst du nicht bei ihr?«, fragte Farish wütend im Wartezimmer der Intensivstation. »Das möchte ich wissen. Ich dachte, du wärst dafür verantwortlich, sie nach Hause zu fahren?«
    »Woher sollte ich denn wissen, dass sie früher rauskommt?
Sie hätte mich in der Pool Hall anrufen können. Als ich um fünf zum Gericht kam, war sie weg.« Hat mich sitzen lassen, hätte Danny gern gesagt und sagte es nicht. Er hatte zur Autowaschanlage laufen und Catfish bitten müssen, ihn nach Hausezu fahren.
    Farish atmete sehr geräuschvoll durch die Nase, wie er es immer tat, wenn er im Begriff war, aus der Haut zu fahren. »Okay, dann hättest du eben da auf sie warten sollen.«
    »Am Gericht? Draußen im Wagen? Den ganzen Tag?«
    Farish fluchte. »Ich hätte sie selbst fahren sollen.« Er wandte sich ab. »Ich hätte wissen sollen, dass so was passiert.«
    »Farish«, sagte Danny und brach dann ab. Es war besser, Farish nicht daran zu erinnern, dass er nicht fahren konnte.
    »Wieso zum Teufel hast du nicht den Truck genommen?«, blaffte Farish. »Sag mir das.«
    »Weil sie gesagt hat, der Truck wär ihr zu hoch, um reinzuklettern. Zu hoch «, wiederholte Danny lauter, als Farishs Miene sich argwöhnisch verfinsterte.
    »Ich hab dich schon verstanden«, sagte Farish. Er starrte Danny an, einen langen, unbehaglichen Augenblick lang.
    Gum lag auf der Intensivstation und hing an zwei Infusionen und einem Herz-Atmungsmonitor. Ein Lastwagenfahrer hatte sie gebracht. Er war zufällig gerade zur rechten Zeit vorbeigekommen, um das erstaunliche Schauspiel zu sehen: eine alte Lady, die auf dem Highway umherstolperte, während ihr eine Königskobra an der Schulter baumelte. Er hatte angehalten, war aus dem Wagen gesprungen und hatte mit einem zwei Meter langen Stück Bewässerungsschlauch aus gelbem Plastik, das hinten auf dem Laster gelegen hatte, auf das Biest eingeprügelt. Als er die Schlange heruntergeschlagen hatte, war sie ins Unkraut geschossen und verschwunden – aber ganz ohne Zweifel, erzählte er dem Arzt in der Notaufnahme, als er Gum einlieferte, war es eine Kobraschlange gewesen: gespreizte Haube, Brillenzeichnung, alles. Er wusste, wie sie aussahen, sagte er, weil auf den Munitionsschachteln für die Schrotflinte ein Bild davon war.
    »Genau wie die Armadillos und Killerbienen«,

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