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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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auf, war schrecklich sonnenverbrannt und dünn. Wem glich sie noch gleich mit ihren glatten schwarzen Haaren und der Art, wie sie das Kinn vorstreckte?
    »Ich frage mich«, sagte sie laut, »was eigentlich aus dem Buch über die kleine Hiawatha geworden ist, das immer im Haus war?«
    Harriet schaute aus dem Fenster, als erwarte sie jemanden.
    »Es ist wichtig.« Tapfer bemühte Charlotte sich, den Faden wieder aufzunehmen. Es liegt an den verschränkten Armen, dachte sie , und am Haarschnitt . »Ich will damit sagen, es ist gut für dich, wenn du dich beteiligst... an Dingen.«
    Allison lungerte vor der Tür herum und lauschte, vermutete Harriet. Allison folgte ihr durch den Gang und blieb in der Tür ihres Zimmers stehen, als Harriet ihre Kommodenschublade öffnete und Tennissocken herausnahm, Unterwäsche und ihr grünes »Camp de Selby«-Shirt vom letzten Sommer.
    »Was hast du angestellt?«, fragte sie.
    Harriet erstarrte. »Nichts«, sagte sie. »Wieso glaubst du, ich hätte was angestellt?«
    »Du benimmst dich, als ob du Ärger hättest.«
    Nach einer langen Pause wandte Harriet sich mit rot glühendem Gesicht wieder dem Packen zu.
    »Ida wird weg sein, wenn du wiederkommst«, sagte Allison.
    »Mir egal.«
    »Das ist ihre letzte Woche. Wenn du wegfährst, wirst du sie nie wieder sehen.«
    »Na und?« Harriet stopfte ihre Tennisschuhe in den Ranzen. »Sie liebt uns nicht wirklich.«
    »Ich weiß.«
    »Na, warum soll es mir dann was ausmachen?«, antwortete Harriet aalglatt, obwohl ihr Herz ins Schleudern geriet und einmal aussetzte.
    »Weil wir sie lieben.«
    »Ich nicht«, sagte Harriet sofort. Sie zog den Reißverschluss zu und warf den Ranzen auf das Bett.

    Unten nahm Harriet einen Bogen Briefpapier von dem Tisch im Eingangsflur, und im schwindenden Licht setzte sie sich hin und schrieb:
    Lieber Hely,
    ich fahre morgen ins Camp. Ich hoffe, den Rest des Sommers geht’s dir gut. Vielleicht sitzen wir im selben Zimmer, wenn du nächstes Jahr in die siebte Klasse kommst.
    Deine Freundin
    Harriet C. Dufresnes.
    Sie war gerade fertig, als das Telefon klingelte. Erst wollte sie nicht abnehmen, aber nach dem dritten oder vierten Läuten wurde sie schwach und griff vorsichtig zum Hörer.
    »Mann .« Helys Stimme kam knisternd und sehr leise durch das Footballhelm-Telefon. »Hast du die ganzen Sirenen vorhin gehört?«
    »Ich hab dir gerade einen Brief geschrieben«, sagte Harriet. Die Atmosphäre im Flur war wie im Winter, nicht wie im August. Das Licht, das von der rankenumwucherten Veranda durch die Gardinen neben der Tür und durch das halbrunde Oberlicht mit den strahlenförmigen Sprossen hereinsickerte, war aschfahl, nüchtern und matt. »Edie fährt mich morgen ins Camp.«
    »Ausgeschlossen!« Es hörte sich an, als komme seine Stimme vom Grunde des Meeres. »Fahr nicht! Du bist verrückt geworden!«
    »Ich bleib nicht hier.«
    »Lass uns weglaufen!«
    »Das kann ich nicht.« Mit der Zehenspitze malte Harriet ein glänzendes schwarzes Mal in den Staub, der den geschwungenen Rosenholzsockel des Tisches überhaucht hatte.
    »Und wenn uns jemand gesehen hat? Harriet?«
    »Ich bin noch dran«, sagte Harriet.
    »Und was ist mit meiner Karre?«
    »Ich weiß nicht.« Harriet hatte auch schon an Helys Karre gedacht. Sie stand immer noch auf der Straßenbrücke, und die leere Kiste ebenfalls.
    »Soll ich noch mal hin und sie holen?«
    »Nein. Jemand könnte dich sehen. Dein Name steht doch nicht drauf, oder?«
    »Nein. Ich benutze sie ja nie. Sag mal, Harriet, wer war diese Person?«
    »Keine Ahnung«
    »Die sah echt alt aus. Diese Person.«
    Ein angespanntes, erwachsenes Schweigen trat ein – nicht wie das übliche Schweigen, wenn sie nicht mehr wussten, was sie sagen sollten, und jeder freundschaftlich darauf wartete, dass der andere den Mund wieder aufmachte.
    »Ich muss Schluss machen«, sagte Hely schließlich. »Meine Mom macht Tacos zum Abendessen.«
    »Okay.«
    Sie saßen da, jeder an seinem Ende der Leitung, und atmeten, Harriet in der hohen, muffigen Diele, Hely auf der oberen Koje in seinem Zimmer.
    »Was ist eigentlich mit den Kids passiert, von denen du erzählt hast?«
    »Was?«
    »Die Kids in den Nachrichten aus Memphis. Die Steine von der Brücke geworfen haben.«
    »Ach, die. Die haben sie erwischt.«
    »Und was haben sie mit ihnen gemacht?«
    »Ich weiß nicht. Ich nehme an, sie sind ins Gefängnis gekommen.«
    Wieder war es lange still.
    »Ich schreib dir’ne Postkarte. Dann hast du in der

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