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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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und beugten sich plötzlich vor, und jeder fixierte sie mit einem gelben Fischauge.
    Jemand wollte ihr etwas reichen. Es hängt von dir ab, meine Liebe...
    Harriet saß kerzengerade auf dem Sofa.

    »Na, Harriet«, sagte Edie munter, als Harriet verspätet zum Frühstück vor ihrer Tür stand. »Wo hast du gesteckt? Wir haben dich gestern in der Kirche vermisst.«
    Sie band sich die Schürze ab, ohne von Harriets Schweigen oder ihrem zerknautschten Gänseblümchenkleid Notiz zu nehmen. Für ihre Verhältnisse war Edie ungewöhnlich vergnügt, und sie hatte sich fein gemacht in einem marineblauen Sommerkostüm mit dazu passenden zweifarbigen Pumps.
    »Ich wollte schon ohne dich anfangen«, sagte sie und setzte sich zu Toast und Kaffee an den Tisch. »Kommt Allison? Ich muss zu einer Versammlung.«
    »Zu was für einer Versammlung?«
    »In der Kirche. Deine Tanten und ich werden verreisen.«
    Das war eine Neuigkeit, selbst für Harriet in ihrem benommenen Zustand. Edie und die Tanten verreisten niemals. Libby war kaum jemals außerhalb von Mississippi gewesen, und sie und die anderen Tanten waren tagelang bedrückt und verängstigt, wenn sie sich mehr als ein paar Meilen weit in die Welt hinauswagen sollten. Das Wasser schmeckte komisch, murmelten sie. Sie könnten in einem fremden Bett nicht schlafen. Sie machten sich Sorgen, dass sie die Kaffeemaschine nicht abgeschaltet hätten, sie machten sich Sorgen um ihre Zimmerpflanzen und ihre Katzen, machten sich Sorgen, dass es brennen oder dass jemand in ihr Haus einbrechen oder dass das Ende der Welt kommen könnte, während sie weg waren. Sie würden Tankstellentoiletten benutzen müssen – Toiletten, die dreckig waren, und wo man nie wusste, was für Krankheiten dort lauerten. Die Leute in fremden Restaurants kümmerten sich nicht um Libbys salzfreie Diät. Und wenn sie eine Panne hätten? Oder wenn jemand krank würde?
    »Wir fahren im August«, sagte Edie. »Nach Charleston. Eine Reise zu historischen Häusern.«
    »Du fährst?« Edie weigerte sich zwar, es zuzugeben, aber ihre Augen waren nicht mehr das, was sie einmal gewesen waren; sie rauschte über rote Ampeln hinweg, bog trotz Gegenverkehr links ab und bremste jäh ab, um sich über die Lehne nach hinten zu beugen und mit ihren Schwestern zu schwatzen  – die in ihren Handtaschen nach Papiertaschentüchern und Pfefferminz wühlten und ebenso entzückend ahnungslos wie Edie waren, was den erschöpften, hohläugigen Schutzengel betraf, der mit gesenkten Schwingen über dem Oldsmobile schwebte und an jeder Straßenecke einen gewaltigen Zusammenstoß verhütete.
    »Alle Damen aus unserem Kirchenkreis fahren mit«, sagte Edie und kaute geschäftig auf ihrem knusprigen Toast. »Roy Dial von der Chevrolet-Vertretung leiht uns einen Bus. Und einen Fahrer. Ich hätte nichts dagegen, meinen eigenen Wagen
zu nehmen, wenn die Leute auf dem Highway sich heutzutage nicht so verrückt aufführen würden.«
    »Und Libby sagt, sie fährt mit?«
    »Natürlich. Warum nicht? Mrs. Hatfield Keene und Mrs. Nelson McLemore und alle ihre Freundinnen kommen mit.«
    »Addie auch? Und Tat?«
    »Natürlich.«
    »Und sie wollen mit? Niemand zwingt sie?«
    »Deine Tanten und ich werden nicht jünger.«
    »Hör mal, Edie«, sagte Harriet abrupt und schluckte einen Mund voll Brötchen herunter. »Gibst du mir neunzig Dollar?«
    »Neunzig Dollar?« , wiederholte Edie und klang unvermittelt empört. »Ganz sicher nicht. Wozu um alles in der Welt brauchst du neunzig Dollar?«
    »Mutter hat unsere Mitgliedschaft im Country Club verfallen lassen.«
    »Was willst du denn im Country Club?«
    »Ich will diesen Sommer schwimmen gehen.«
    »Dann soll der kleine Hull dich als Gast mitnehmen.«
    »Kann er nicht. Er darf nur fünfmal einen Gast mitbringen. Ich werde aber öfter schwimmen gehen wollen.«
    »Ich sehe nicht ein, was es für einen Sinn hat, dem Country Club neunzig Dollar zu geben, nur damit du den Pool benutzen kannst«, sagte Edie. »Du kannst im Lake de Selby schwimmen, so viel du willst.«
    Harriet schwieg.
    »Komisch. Das Camp fängt dieses Jahr spät an. Ich hätte gedacht, dass die ersten Gruppen schon da sind.«
    »Wohl nicht.«
    »Erinnere mich daran«, sagte Edie, »dass ich heute Nachmittag dort anrufe. Ich weiß nicht, was los ist mit diesen Leuten. Ich frage mich, wann der kleine Hull fährt?«
    »Darf ich aufstehen?«
    »Du hast mir noch nicht erzählt, was du heute vorhast.«
    »Ich gehe in die Bibliothek und melde mich zum

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