Der kleine Freund: Roman (German Edition)
erwachsen klingende Ersuchen. »Weißt du denn, welche du brauchst?«
»Oh, nur die Lokalzeitungen. Vielleicht noch die aus Memphis und Jackson. Von...« Sie zögerte; sie wollte Mrs. Fawcett keinen Hinweis geben, indem sie das Datum von Robins Tod erwähnte.
»Naja«, sagte Mrs. Fawcett, »eigentlich darf ich dich da hinten nicht hineinlassen, aber wenn du vorsichtig bist, ist es sicher in Ordnung.«
Auf einem Umweg, damit sie nicht an Helys Haus vorbeikam – er hatte sie gefragt, ob sie mit ihm angeln gehen wollte –, brachte Harriet die Bücher, die sie ausgeliehen hatte, nach Hause. Es war halb eins. Allison, verschlafen, zerzaust und noch im Pyjama, saß allein am Esstisch und aß mürrisch ein Tomatensandwich.
»Willst du Tomate, Harriet?«, rief Ida Rhew aus der Küche. »Oder lieber Hühnchen?«
»Tomate, bitte.« Harriet setzte sich zu ihrer Schwester.
»Ich gehe heute Nachmittag in den Country Club, um mich zum Schwimmen anzumelden«, sagte sie. »Kommst du mit?«
Allison schüttelte den Kopf.
»Soll ich dich auch anmelden?«
»Mir egal.«
»Weenie würde aber nicht wollen, dass du dich so benimmst«, sagte Harriet. »Er würde wollen, dass du glücklich bist und dein Leben weiterlebst.«
»Ich werde nie wieder glücklich sein.« Allison legte ihr Sandwich hin, und Tränen quollen über die Lider ihrer melancholischen, schokoladenbraunen Augen. »Ich wünschte, ich wäre tot.«
»Allison?«, sagte Harriet.
Sie antwortete nicht.
»Weißt du, wer Robin umgebracht hat?«
Allison begann, an der Kruste ihres Sandwichs zu zupfen. Sie schälte einen Streifen ab und rollte ihn mit Daumen und Zeigefinger zu einer Kugel zusammen.
»Du warst im Garten, als es passiert ist.« Harriet beobachtete ihre Schwester aufmerksam. »Das hab ich unten in der Bibliothek in der Zeitung gelesen. Da stand, du warst die ganze Zeit draußen.«
»Du warst auch draußen.«
»Ja, aber ich war ein Baby. Du warst vier.«
Allison schälte noch eine Kruste ab und aß sie bedächtig, ohne Harriet anzusehen.
»Vier ist ziemlich alt. Ich kann mich an praktisch alles erinnern, was mir passiert ist, als ich vier war.«
In diesem Augenblick erschien Ida Rhew mit Harriets Teller. Beide Mädchen schwiegen. Als sie wieder in die Küche gegangen war, sagte Allison: »Bitte lass mich in Ruhe, Harriet.«
»Du musst dich an etwas erinnern«, beharrte Harriet, ohne Allison aus den Augen zu lassen. »Es ist wichtig. Denk nach.«
Allison spießte eine Tomatenscheibe mit der Gabel auf und knabberte zierlich am Rand entlang.
»Pass auf. Ich hatte letzte Nacht einen Traum.«
Allison hob den Kopf und sah sie erschrocken an.
Harriet war Allisons jäh zunehmende Aufmerksamkeit nicht entgangen, und sie erzählte ausführlich, was sie in der vergangenen Nacht geträumt hatte.
»Ich glaube, der Traum wollte mir etwas sagen«, endete sie. »Ich glaube, ich soll herausfinden, wer Robin ermordet hat.«
Sie aß ihr Sandwich auf. Allison schaute sie immer noch an. Edie – das wusste Harriet – irrte sich, wenn sie glaubte, Allison sei dumm; es war nur sehr schwer zu sagen, was sie gerade
dachte, und man musste sehr behutsam mit ihr umgehen, damit man sie nicht erschreckte.
»Ich möchte, dass du mir hilfst«, sagte Harriet. »Weenie würde auch wollen, dass du mir hilfst. Er hat Robin geliebt. Er war Robins Kätzchen.«
»Ich kann nicht.« Allison schob ihren Stuhl zurück. »Ich muss gehen. Gleich kommt Dark Shadows .«
»Nein, warte«, sagte Harriet. »Ich möchte, dass du etwas tust. Tust du etwas für mich?«
»Was denn?« »Kannst du versuchen, dich zu erinnern, was du nachts träumst, und es dann aufschreiben und mir morgens zeigen?«
Allison sah sie ausdruckslos an. »Du schläfst dauernd. Du musst doch Träume haben. Manchmal erinnert man sich im Traum an Dinge, an die man sich nicht erinnert, wenn man wach ist.«
»Allison«, rief Ida aus der Küche. »Es ist Zeit für unsere Sendung.« Sie und Allison waren besessen von Dark Shadows . Im Sommer schauten sie es sich jeden Tag zusammen an.
»Komm und sieh mit uns fern«, sagte Allison zu Harriet. »Letzte Woche war es richtig gut. Sie sind jetzt wieder in der Vergangenheit. Es wird erklärt, wie Barnabas zum Vampir wurde.«
»Du kannst es mir erzählen, wenn ich zurückkomme. Ich gehe jetzt zum Country Club und melde uns beide für den Pool an. Okay? Wenn ich dich anmelde, gehst du dann manchmal mit mir schwimmen?«
»Wann fängt eigentlich dein Camp an? Fährst du
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