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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Lesewettbewerb an. Ich will ihn wieder gewinnen.« Jetzt, dachte sie,
war nicht der richtige Augenblick, um von ihrem wahren Ziel für diesen Sommer zu sprechen – nicht, solange Camp de Selby über der Unterhaltung schwebte.
    »Na, das wirst du sicher hinkriegen.« Edie stand auf und wollte ihre Kaffeetasse zur Spüle bringen.
    »Stört es dich, wenn ich dich etwas frage, Edie?«
    »Kommt darauf an.«
    »Mein Bruder wurde ermordet, nicht wahr?«
    Edies Blick wurde unscharf. Sie stellte die Tasse hin.
    »Was glaubst du, wer es getan hat?«
    Edies Blick schwankte noch für einen Moment und richtete sich dann – ganz plötzlich – scharf und zornig auf Harriet. Nach einer Sekunde voller Unbehagen (in der Harriet wirklich das Gefühl hatte, dass Rauch von ihr aufstieg, als wäre sie ein Haufen trockenes Holz, das in einem Lichtstrahl aufglühte) wandte sie sich ab und stellte ihre Tasse in die Spüle. Ihre Taille sah sehr schmal aus, und ihre Schultern wirkten eckig und militärisch in dem marineblauen Kostüm.
    »Hol deine Sachen«, sagte sie knapp, ohne sich umzudrehen.
    Harriet wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte keine Sachen.

    Nach der quälenden Stille während der Autofahrt (sie hatte auf die Polsternähte gestarrt und an einem Stück losem Schaumstoff an der Armlehne genestelt) hatte Harriet keine besondere Lust mehr, in die Bibliothek zu gehen. Aber Edie wartete mit versteinerter Miene am Randstein, und Harriet blieb nichts anderes übrig, als die Treppe hinaufzugehen (mit steifem Rücken und in dem Bewusstsein, dass sie beobachtet wurde) und die Glastür aufzustoßen.
    Die Bücherei sah leer aus. Mrs. Fawcett saß allein hinter der Theke; sie ging die Rückgaben des letzten Abends durch und trank eine Tasse Kaffee. Sie war eine winzige Frau mit Vogelknochen und kurzen, grau melierten Haaren, blau geäderten weißen Armen (sie trug kupferne Armreifen gegen ihre Arthritis), und ihre Augen waren ein bisschen zu stechend und eng
zusammenliegend, zumal ihre Nase etwas von einem Schnabel hatte. Die meisten Kinder hatten Angst vor ihr, nicht aber Harriet; sie liebte die Bibliothek und alles, was dazugehörte.
    »Hallo, Harriet!«, sagte Mrs. Fawcett. »Willst du dich für den Lesewettbewerb anmelden?« Sie langte unter ihren Schreibtisch und holte ein Plakat hervor. »Du weißt, wie das geht, oder?«
    Sie reichte Harriet eine Karte der Vereinigten Staaten, und Harriet studierte sie angelegentlich. Ich kann eigentlich nicht so schrecklich aus dem Häuschen sein , dachte sie, wenn Mrs . Fawcett nichts merkt . Harriet war nicht leicht zu verletzen, zumindest nicht durch Edie, der ständig wegen irgendetwas der Kragen platzte, aber das Schweigen im Auto hatte sie doch zermürbt.
    »Sie machen es dieses Jahr mit einer amerikanischen Karte«, sagte Mrs. Fawcett. »Für jedes vierte Buch, das du ausleihst, bekommst du einen Aufkleber in Form eines Staates, den du auf deine Karte kleben kannst. Soll ich sie für dich aufhängen?«
    »Danke, ich mach das schon«, sagte Harriet.
    Sie ging zum schwarzen Brett an der hinteren Wand. Der Lesewettbewerb hatte am Samstag angefangen, also erst vorgestern. Sieben oder acht Landkarten hingen schon da; die meisten waren leer, aber eine hatte schon drei Aufkleber. Wie konnte jemand seit Samstag zwölf Bücher gelesen haben?
    »Wer«, fragte sie Mrs. Fawcett, als sie mit den vier Büchern, die sie sich ausgesucht hatte, zur Ausleihtheke zurückkam, »ist Lasharon Odum?«
    Mrs. Fawcett beugte sich über ihre Theke, zeigte stumm in die Kinderbuchabteilung und deutete mit dem Kopf auf eine winzige Gestalt mit verfilzten Haaren in einem schmuddeligen T-Shirt und einer zu kleinen Hose. Sie saß zusammengekrümmt auf einem Stuhl und las mit großen Augen, und ihr Atem kam rasselnd über ausgetrocknete Lippen.
    »Da sitzt sie«, flüsterte Mrs. Fawcett. »Das arme kleine Ding. Die ganze letzte Woche hat sie jeden Morgen vorn auf der Treppe gewartet, wenn ich kam, um zu öffnen, und dann sitzt
sie mucksmäuschenstill da, bis ich um sechs wieder schließe. Wenn sie diese Bücher wirklich liest und nicht bloß so tut, dann liest sie für ihre Altersgruppe wirklich gut.«
    »Mrs. Fawcett«, sagte Harriet, »darf ich heute wieder nach hinten zu den Zeitungen?«
    Mrs. Fawcett machte ein verblüfftes Gesicht. »Die kannst du nicht ausleihen.«
    »Ich weiß. Ich will nur etwas recherchieren.«
    Mrs. Fawcett schaute Harriet über ihre Brillengläser hinweg an, erfreut über dieses

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