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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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Film. Das ist nicht wie im Fernsehen, wo man einfach das Gerät einschaltet. Es ist eine komplizierte Tätigkeit, Deepakbhai.«
    »Sicher, sicher«, sagte Deepak.
    »Das Kino steht und fällt mit der Qualität der Filmvorführung – alles andere ist zweitrangig. Jedenfalls ist das in den echten Kinos so. Ich glaube, in einige von diesen neuen gehen die Leute nur, weil es da gutes Popcorn gibt. Aber das ist dann kein Kino, Deepakbhai, sondern Popcorn! Du musst mal vorbeikommen, Deepakbhai. Wir zeigen in erster Linie alte Filme, aber das ist ja gerade das Schöne. Neue Filme kann man überall sehen, aber alte nur im Noor.«
    »Echt? Was läuft denn diese Woche?«
    »
Saathi
. Der ist aus den frühen Neunzigern. Ich erzähl dirkurz die Story. Es geht um zwei Kindheitsfreunde, von denen der eine ein Junkie und Gangster wird und der andere Polizist. Mohsin Khan spielt mit, ein Pakistani, der in den Achtzigern Cricket-Nationalspieler war. Hat in England mal ein Double-hundred geschafft. Ein klasse Film.«
    »Ist der so gut wie
Satya
?«, fragte Deepak. »Ich finde,
Satya
ist der beste indische Gangsterfilm, den es gibt.«
    »Eine gute Wahl, Deepak! Wenn man auch Lieder und Tanznummern haben will, gibt es keinen besseren Gangsterfilm als den.«
    »Ich sag dir mal, was mir an diesem Film gefällt. Der Held sagt in den ganzen drei Stunden fast nichts. Reden ist nicht sein Ding, er will Action. Selbst als er sich verliebt, bringt er es nicht fertig, groß was zu seinem Mädchen zu sagen. Deshalb findet sie ihn auch so nett.«
    »Genau so ist es, Deepakbhai. Sehr gut analysiert!«
    »Du brauchst mir keinen Honig ums Maul zu schmieren. Ich habe einfach eine klare Meinung, mehr nicht. Ich weiß, was mir gefällt und was mir nicht gefällt.«
    »So sollte es ein.«
    »Und wo wir gerade von Pakistanis reden«, sagte Deepak, »bevor wir nicht den Teil von Kaschmir zurückgekriegt haben, den sie uns weggenommen haben, sollten Pakistanis nicht in indischen Filmen mitspielen dürfen. Da können sie noch so viele Double-hundreds in England machen! Aber einfach hier rüberkommen und unseren Filmhelden die Rollen wegnehmen und unsere Mädchen vögeln, das geht nicht. Erst Kaschmir! Dann sehen wir weiter.«
    »Was hat Kaschmir denn mit alldem zu tun, Deepakbhai?«
    »Das hängt alles zusammen. Man kann diese Sachen nicht in unterschiedliche Schubladen packen. Wenn die Pakistaniszu uns rüberkommen und sich unsere Jobs unter den Nagel reißen wollen, dann sollen sie Land dafür hergeben. Ohne Geben kein Nehmen.«
    »Da ist was dran, Deepak. So hatte ich das noch nicht betrachtet.«
    »Ab jetzt wirst du es so betrachten. Alles auf dieser Welt hängt zusammen. Wenn es irgendwo nach oben geht, muss es anderswo nach unten gehen.«
    Deepaks Handy begann zu summen. Seine Miene veränderte sich, als er sah, wer anrief. »Okay, ich muss los«, sagte er. »Bis morgen.«
    »Alles klar, Deepakbhai. Mach dich auf den Weg – das scheint ja ein wichtiger Anruf zu sein.«
    »Nummer 27, Gebäude 2, Old Wadia Chawl, Chira Bazaar. Und denk dran, keine Ausflüchte. Erzähl mir später nicht, dass du den Zettel verloren hast! Ja, Sir … Ja, ich kann Sie hören.«
    Es war faszinierend zu beobachten, wie Deepak gleichzeitig ein Gespräch führen, eine Zigarette rauchen und pinkeln konnte, ganz lässig bewässerte er Unkraut und Gebüsch, von links nach rechts und wieder zurück.

Viertes Kapitel
Im Noor
    A uf dem Weg zur Arbeit blieb Arzee auf der Grant Road Bridge stehen und schaute auf den Bahnhof hinunter. Er stand lange dort, das Kinn auf der Mauer, ohne die vorbeigehenden Fußgänger zu beachten. Obwohl er nur selten mit dem Zug fuhr, bestaunte er gern die gewundenen, in der Ferne sich verlierenden Geleise, die statischen und die beweglichen Teile. Die glänzenden Eisenbahnschienen, die bis nach Virar führten, das von Löchern übersäte Asbestdach voll kleinerer Abfälle, in denen Vögel herumpickten, die Leute auf dem Bahnsteig, die in ihren schlecht sitzenden Kleidern schlaff herumstanden, wie kleine Figürchen, die Schuhputzer, die mit der Bürste auf ihren Kasten klopften – die ganze Szenerie hatte etwas Lebhaftes, Belebendes, genau wie der Vorführraum mit seiner Hitze und dem Licht und dem Zelluloid, das durch die Filmbahn des Projektors lief. Ein Zug fuhr ein, ächzend und schwankend, spuckte hundert Passagiere aus, die sofort von einer unsichtbaren Kraft die Treppe hinaufgezogen zu werden schienen, und schluckte einige andere. Arzee sah, wie

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