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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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hatte, aber nach ein paar Tagen war Arzee ungeduldig geworden und hatte selbst angerufen. Deepak hatte jedoch nur kurz und knapp gesagt, er habe noch nichts herausgefunden. Wie es denn mit der Arbeit laufe?
    »Oh, sehr gut, Deepakbhai«, sagte Arzee. »Ich dachte erst, dass es mir nicht gefallen würde, aber jetzt gefällt es mir doch. Bitte bleib dran, Deepakbhai. Ich muss wissen, wo sie ist.«
    »Bleib dran, Deepakbhai!«, wiederholte Deepak. »Meinst du, ich habe nichts anderes zu tun? Soll ich mich vielleicht persönlich auf die Suche nach ihr machen und meine Arbeit hier liegen lassen? Es ist nicht so einfach, wie du denkst, kleiner Mann. Und ich sag’s dir noch mal: Sei froh, dass sie weg ist. Du wirst noch an meine Worte denken.«
    »Ich werde dich nicht mehr damit belästigen, Deepakbhai. Es ist nur so, dass – ich habe das Gefühl, dass ich –«
    »Hör sofort auf! In dein Gefühlsleben steigen wir diesmal nicht ein, sonst geht das wieder ewig. Ruf mich nächste Woche an.«
    »Ich wollte gar nichts sagen, Deepakbhai«, sagte Arzee tief gekränkt. »Danke, Deepakbhai.«
    Nein, Arzee hatte nichts sagen wollen, denn er wusste, dass er nichts sagen sollte. Er sollte nichts zu Abjani sagen, obwohl das Noor seinem Ende entgegensah. Zu Phiroz sollte ernichts sagen, weil Phiroz damit beschäftigt war, die Hochzeit seiner Tochter vorzubereiten, die schließlich ein einmaliges Ereignis war. Zu Deepak sollte er nichts sagen, weil Deepak seine Klagen leid war. Zu seiner Mutter konnte er nichts sagen, denn das würde nur bedeuten, dass seine Sorgen sich verdoppelten. Und auch zu seinen Freunden konnte er nichts sagen – die mied er jetzt, so wie er früher Deepak gemieden hatte. Er nahm alles zurück, was er hatte sagen wollen, und bat vielmals und aus tiefstem Herzen um Verzeihung für die Umstände, die er verursacht, die Zeit, die er vergeudet hatte. Und wo blieb er bei alldem? Mit wem konnte er noch reden? Na, mit sich selbst! Er war sich selbst Konzert und Publikum.
    Wenn er in Schweigen gehüllt in der Tür eines Zugabteils stand, die Unterlippe mürrisch vorgeschoben und den Anzug zwischen den Füßen, loderten diese Gedanken so hell und zornig in seinem Innern, dass sie genauso gut auf Transparenten über den Dächern der Slums hätten stehen können oder hoch oben am Himmel über den Berggipfeln. Und wie im Noor fühlte er sich auch zu Hause immer kleiner; er kam spätabends ohne jede Begeisterung heim und zog in der Dunkelheit und Stille seine Shorts an. Morgens erwachte er in düsterer Stimmung und brauchte ewig, um aus dem Bett zu kommen. Er versuchte, mit Mutter zu reden, als wäre alles wie immer, doch er war nicht mit dem Herzen dabei, und meistens wich er ihrem Blick aus. Wenn die Sprache auf seine künftige Frau und seine Hochzeit kam, bemühte er sich, nichts Verfängliches zu sagen, in der Hoffnung, dass sich das Thema irgendwann von selbst erledigen würde. Arzee versuchte, sich zu Hause so unauffällig wie eine Maus oder eine Eidechse zu verhalten, damit man ihn nicht behelligte, ihn einfach sein ließ.
    Bandra, Mahim, Malad, Borivali – eines Tages fiel Arzeeauf, dass er mit diesen Touren im Grunde genommen eine Familientradition fortführte. Auch sein verstorbener Vater war seinerzeit in den ferneren Stadtteilen unterwegs gewesen. Das hätte er eigentlich nicht gemusst. Vater hätte sich, so wie andere Handelsvertreter auch, auf einen Bezirk, ein Revier beschränken können. Aber er war weiter hinausgefahren. Vater war nun mal Vater. Er brauchte jedes halbe Jahr ein neues Paar Schuhe, und seine von Hornhaut und Hühneraugen verkrusteten Füße erinnerten an die Kraterlandschaft des Mondes. Und so wie der alte Phiroz nach Sandelholzseife roch, hatte Vater immer nach Waschmittel gerochen, denn das war seine Handelsware. Arzees und Mobins Lieblingsspiel in ihrer Kindheit hatte denn auch darin bestanden, mit einem Strohhalm und einer Schüssel voll Sunshine-Waschlauge Seifenblasen aus dem Fenster zu pusten. Wie hatten die Seifenblasen in der Sonne geglänzt und geschillert, während sie gemächlich davonschwebten!
    Damals war Vater jeden Morgen losgezogen, sein Frühstück im Bauch, seine große schwarze Tasche über der Schulter, die Netzkarte in der Hosentasche und einen Bleistift hinterm Ohr. Doch der Zug brachte ihn immer nur von einem Bahnhof zum anderen – der Rest war Lauferei, genau wie bei Arzees Flaschenjob. Von Straße zu Straße, von Haus zu Haus, von Tür zu Tür – es war eine

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