Der kleine Koenig von Bombay
Koteletten anzunehmen, berührte ihr Bauch seinen Arm. Alles in ihm schien sofort diesem Arm entgegenzustreben, wie die Flüssigkeit in einer gekippten Flasche, und er rührte sich nicht, bis Monique eine andere Stellung einnahm. Sie hustete. Was sie dachte, erschloss sich Arzee immer noch nicht, und was er selbst fühlte, ließ sich nicht beschreiben.
Und welche Feier des leiblichen Lebens entfaltete sich um ihn herum – ernsthaft, andächtig, unbefangen. Tony’s war ein wahrer Tempel des Körpers. Es war Zufall, was für einen Körper man mit auf den Weg bekam, aber wie immer er auch beschaffen sein mochte, hier bei Tony’s wurden Haut, Haar und Fleisch neues Leben eingehaucht … sie wurden gleichsam zu strahlendem Leben erweckt: der Barbier als Babur. Diese grün bekittelten Angestellten pflegten den Garten des Körpers, sie rubbelten und stutzten, weichten ein und formten. Der Körper wurde hier auseinanderdividiert, und selbst solchen Außenposten wie Zehen, Nägeln und Knien wurden Rang und Würde zuerkannt. Hände kneteten Gliedmaßen, Gesichter waren von breiigen Masken bedeckt, Haare wurden auf Lockenwickler gedreht oder Strähne für Strähne in Folie gewickelt, und aus Wasserschüsseln stieg Dampf auf, der zwischendurch den Blick auf verwöhnte Füße freigab. Eine Frau, deren Kopf unter der gläsernen Haube eines Trockners steckte, sah aus, als würde sie im nächsten Moment auf den Mond geschossen werden; eine andere, die mit einem Handtuch über dem Kopf ein Gesichtsdampfbad nahm, gab kleine Glückslaute von sich, als stiege da nicht nur Wasserdampf auf. Beim Anblick all der nackten Beine und flüsternden Arme, dersprechenden Hüften und vorragenden Brüste erwachte Arzees Körper wie ein Exilant, der endlich wieder seine Muttersprache hört. Jede Pore seines Körpers empfing diese Musik des Körpers, diese Verheißung der Mitgliedschaft in einer Welt, von der er sich immer ausgeschlossen gefühlt hatte.
Monique beugte sich über ihn und griff nach ihrem Föhn. Arzee wandte sich wieder seinem eigenen Gesicht zu und sah, dass –
War er das? Konnte das sein? Seine Matte war völlig verwandelt, wodurch das Gesicht darunter ebenfalls verwandelt war. Moniques Föhn fuhr brausend über seinen Kopf und bedachte ihn mit einem warmen, liebevollen Luftstrom, und dann drückte sie etwas Pomade aus einer Tube, arbeitete sie in die vorderen Partien seines Haars ein und zwirbelte einzelne Strähnen nach oben. Innerhalb von einer halben Stunde war sein Haar aus den Achtzigern ins neue Jahrtausend katapultiert worden! Die Achtziger lagen in Schnipseln um ihn herum und würden bald mit dem Besen zusammengekehrt werden, doch momentan bildeten sie noch einen Kreis, in dem nur sie beide sich befanden.
Monique pumpte den Stuhl wieder nach unten, unten, unten, nahm das Tuch von seinen Schultern und bürstete ihn ab. »Okay?«, fragte sie.
»Okay!«, krächzte Arzee.
Es war Zeit für ihn zu gehen.
In Arzees Innerem hatte sich etwas verändert, seit er das letzte Mal auf dem Boden gestanden hatte. Als er bei Tony bezahlt hatte und sich zum Gehen wandte, schaute er noch einmal kurz zurück und sah, dass Monique zwar mit dem Rücken zu ihm stand, seinen Aufbruch jedoch im Spiegel verfolgte. Arzee deutete eine Verbeugung an und lächelte,und sie erwiderte sein Lächeln. Und dann schloss sich die Tür langsam vor diesem Lächeln, und Arzee stand draußen.
Wie tief selbst ein im Spiegel gesehenes Lächeln die Seele anrühren kann! Von diesem Tag an war Arzee nicht mehr mit dem Herzen bei der Arbeit. Der Charme des Noor schien sich plötzlich abgenutzt zu haben. Wie viele Jahre konnte man Tag für Tag das Gleiche tun? Und seine Füße hielten sich nicht mehr an die gewohnten Routen. Er überließ die Abendvorstellung jetzt meist Sule und wartete abends in der Nähe von Tony’s darauf, dass Monique herauskam. Er sah, wie sie, ihre schwarze Handtasche über der Schulter, mit aufrechtem Gang zur Bushaltestelle lief und die Blicke lüsterner Männer ignorierte. Manchmal legte sie eine Münze in die ausgestreckte Hand eines Bettlers, oder sie fischte ein Schächtelchen aus ihrer Tasche und steckte sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund.
Viele Tage lang beobachtete Arzee sie und war es zufrieden. Und dann, eines Abends überquerte er die Straße und stellte sich ebenfalls an die Haltestelle. Kaum war er da, kam auch schon der Bus, so dass Monique ihn nicht bemerkte. Zwei Tage später stieg er selbst in den Bus ein, der
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