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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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Daumen in die Hosentaschen eingehakt, warum schienen ihn da die Schönheiten an der Wand im ersten Stock allesamt so verschmitzt und wissend anzuschauen? Verstanden sie die geheime Sprache des Körpers wirklich so gut? Ihm war, als befänden er und sie sich heute zum ersten Mal auf derselben Ebene, obwohl er doch schon seit Jahren mit ihnen befreundet war.
    Und so … so lagen an den langen Nachmittagen im Vorführraum, wenn das Sonnenlicht ein helles Rechteck auf den Steinboden warf, in dem Tyson, der Hund, schnarchte, Arzees Finger auf den schönen schwarzen Kurven des Babur und erinnerten sich an die wunderbare Form von Moniques Taille. Derart traumverloren, vergaß er manchmal, rechtzeitig die Filmrolle zu wechseln, und wurde erst durch das Buhen und Pfeifen der Zuschauer in hektische Betriebsamkeit versetzt. Und wenn er sich jetzt neue Filme durch das Kabinenfenster zum ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften Mal anschaute, sah er plötzlich, wie schrill und aufgetakelt und nervig die neuen Hauptdarstellerinnen waren, nur billiger Glanz und Flittchencharme. Gab es auch nur eine unter ihnen, die Moniques Eleganz oder geheimnisvollen Nimbus besessen hätte? Sie waren kokett, Monique hingegen würdevoll. Während die anderen Redeschwälle von sich gaben, sagte Monique nur das Nötigste. Ihr Dekolleté war stets dezent, das der anderen dagegen schamlos offenherzig. Sie waren immer auf hundertachtzig,klimperten mit den Augendeckeln und rangen die Hände, Monique hingegen musste nur kurz den Kopf heben oder auf eine bestimmte Weise gucken, um zu vermitteln, was sie sagen wollte. Wenn Monique sich jemals so erregte wie diese Frauen, dann bräche das Universum zusammen! Wenn Arzee jetzt an dem Stand vorm Noor einen Tee trank, fiel ihm Moniques Tee mit Ingwer ein, und die krümeligen großen Kekse aus ihrer Dose waren besser als jedes Plätzchen. Und wenn er ein fettiges Omelett im
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zum Abendessen aß, dachte er sehnsüchtig an die gelben Ei-Ebenen mit den kleinen Tomaten- und Pilzkolonien, die sie abends in der Küche mit dem Schneebesen zauberte, die Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt, damit das Drachen-Tattoo an ihrem Handgelenk zur Geltung kam. In jeder kleinen Pause von seinen Pflichten eilte er die Straße hinunter zum Salon und setzte sich für fünf Minuten auf das Sofa gegenüber dem mürrischen Tony, um seiner Geliebten bei der Arbeit zuzuschauen, wobei sie ihm meist nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber dennoch lang genug Beachtung schenkte. Wenn sie in einer Unterhaltung einmal unerwartet drei Sätze hintereinander sagte, musste er lachen, und später fielen ihm die überraschenden, in ihrem typischen, an Vogelgezwitscher erinnernden Akzent geäußerten Worte wieder ein, und er musste abermals lachen. Aber sie redeten überhaupt nur wenig miteinander, sondern befanden sich, wenn sie zusammen waren, vielmehr in einer Zone stillen Einvernehmens inmitten dieser großen, lauten Stadt voll menschlicher Geschäftigkeit.
    Und Arzee musste jetzt nicht mehr zu Tony’s gehen, um sich die Haare schneiden zu lassen – er genoss den seltenenLuxus einer Privatfriseurin. Nackt bis auf ein um die Lenden geschlungenes weißes Handtuch, saß er vor dem hohen ovalen Spiegel von Moniques Frisierkommode auf einem Stuhl, dessen Sitzfläche mit einem Stapel Friseurhandbücher und den Bombayer Gelben Seiten erhöht worden war. Der Boden war mit Zeitung ausgelegt, so dass Monique mit ihren Stöckelschuhen (beim Haareschneiden trug sie immer Stöckelschuhe) auf den neusten Nachrichten herumtrat, während sie sich langsam durch sein Haar vorarbeitete und zwischendurch die Hände auf seine Schultern legte, um ihr Werk im Spiegel zu betrachten. Die Katze wischte durchs Zimmer, ein Zucken auf der Spiegelfläche, wenn sie von der Vorhangstange auf den Boden, aufs Bett, aufs Regal sprang. Auf Moniques Stereoanlage lief schmelzende Musik – eine Französin, Edith irgendwas, ein Nachname, der wie ein Schnaufen klang; ihre zarten Silben wurden vom Gurren der Tauben am Oberlicht überlagert, und die Gesprächspausen wurden manchmal durch Klänge aus dem Fernseher des Nachbarn gefüllt, so dass ein neuer Indian Mix entstand. Monique hielt ihre Spiegel blitzblank. Sie säuberte sie jeden Tag mit einem weichen Lappen und einem speziellen Spray. Dadurch erschien alles, was man in ihren Spiegeln sah, heller und schärfer als im wahren Leben. Wenn sie sich im Spiegel vor dem Hintergrund der statischen Gegenstände in ihrem

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