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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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den Arzee selbst dann, wenn er ihr direkt ins Gesicht zu schauen versuchte, als eine Art verstörendes Flimmern am Rand seines Blickfeldes wahrnahm.
    Der Hausdiener stellte ihnen ihre Drinks hin. Arzee hob sein Glas an die Lippen. Er spürte, wie der Whisky eine feurige Spur in seiner Kehle und Brust hinterließ. Als er das Glas wieder absetzte, schaute Renu ihn mit großen, unschuldigen Augen an. Arzee fühlte sich, als stünde er an der Schwelle zu einem erhabenen Moment. Alle möglichen Gedanken stürmten auf ihn ein, und es fiel ihm schwer, sie zu ordnen – in seinem Kopf herrschte ein wildes Durcheinander. Er stellte sein Glas ab und betrachtete die fleckige Tischplatte. Dann begann er in kurzen Satzfetzen zu sprechen, so als wandelten sich die Schlückchen, die er gerade genommen hatte, nach und nach in Worte um:
    »Ich habe oft gedacht, dass … Ich habe es erlebt, dass … Es gibt kein Mitleid auf dieser Welt … keine Güte. Wir bezeichnen uns als menschliche Wesen – ja, das tun wir! Aber Menschlichkeit ist genau das, worum wir ringen! Unser Leben lang fragen wir: ›Wo ist mein Freund beheimatet?‹ … Manchmal suchen wir diesen Freund in Gott … manchmal in der Liebe … und manchmal in … in einem Freund!«
    »Wir suchen Freunde«, wiederholte Renu.
    »Genau! Und dann … dann ist da die Sache mit dem Körper. Jeder Mensch hat einen Körper. Aber manchmal liegen der Körper und die Seele, die in ihm wohnt, im Streit. Ein ewiges Gezanke, das nur durch einen Dritten beigelegt werden kann. Nämlich durch einen anderen Körper. Durch den Körper eines anderen Menschen!«
    »Den Körper eines anderen Menschen, wie wahr!«, sagte Renu. Sie langte zu ihm hinüber und legte ihre Hand auf Arzees nackten Arm.
    Ihre Finger waren so warm! Es war ewig her, dass jemand Arzee so angefasst hatte. Er musste den Blick abwenden. Er starrte in sein Glas, sah sein Spiegelbild darin. Unter dem Tisch hatte er bereits die Schuhe abgestreift. Ihm war nach Weinen zumute, doch er erhob sich über seine Traurigkeit, hielt sie im Zaum.
    »Das war nur die Bedeutung der Geschichte. Die Geschichte selbst habe ich dir noch nicht erzählt«, sagte er. »Aber wenn du Zeit hast, erzähle ich sie dir jetzt.«
    »Erzähl sie mir von Anfang an«, sagte Renu, und ihre Augen waren wie schimmernde Teiche.
    »Hast du gesehen, wie ich gerade hier hereinspaziert bin?«, fragte Arzee. »Genau so bin ich mal durch eine andere Tür spaziert …«

Zehntes Kapitel
Stunden mit Monique
    W ie wundersam das alles gewesen war! Arzee stieß die Milchglastür von »Tony’s Salon« auf, und sofort schlugen ihm Wellen warmer Luft ins Gesicht, ein Summen und Brummen wie in Mobins Autowerkstatt bohrte sich in seine Ohren, diverse Düfte und Dünste kitzelten seine Nase, und seine Augen hätten angesichts des hektischen Treibens, das hier herrschte, fast die Zusammenarbeit aufgekündigt. Er glaubte, man versuche ihn zu verjagen, doch als niemand ihm Beachtung schenkte, begriff er, dass es hier immer so zuging.
    In dem grün gestrichenen, durch die Spiegel größer wirkenden Raum, an dessen Wänden Regale voll bunter Tuben, Spraydosen und Flaschen standen, saßen ringsum Männer und Frauen still auf Stühlen, während eine Schar grün bekittelter Angestellter emsig herumwirtschaftete. Zu Arzees Linker hatte sich ein dicker Mann mit chinesisch anmutenden Gesichtszügen – vermutlich Tony, der Chef – hinter eine Theke gezwängt und las die Klatschspalten der Zeitung.
    Ohne den Kopf auch nur einen Zentimeter zu bewegen, musterte Tony Arzee von Kopf bis Fuß und hob die Augenbrauen.
    Arzee brauchte einen Moment, um seine Stimme wiederzufinden, dann hörte er sich sagen: »Haareschneiden!«
    Nun wandte Tony den Blick von ihm ab, wies ihm mit ausgestrecktemArm die Richtung, und Arzee folgte ihm mit den Augen. Und prompt war es um ihn geschehen, er konnte nirgendwo anders mehr hinschauen.
    Neben einem Friseurstuhl stand, gleichgültig ihre roten Fingernägel betrachtend, Monique – natürlich kannte er ihren Namen damals noch nicht, doch als er ihn erfuhr, war sofort klar, dass sie nichts anderes als eine Monique sein konnte.
    Und nun schaute Monique auf, ihre kühlen braunen Augen über der Stupsnase und den roten Lippen blickten in seine, und in diesem Moment schien etwas, das oben in seiner Brust saß, in seinen Magen hinabzusacken. Er hatte noch nie von einer Frau die Haare geschnitten bekommen. Doch jetzt, wo Tony ihn so ansah und Monique ihn so ansah, gab

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