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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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Zimmer ein wenig nach rechts oder links bewegte, ihr Gesichtsausdruck kaum merklich variierte und ihre dünne Stimme das Lied hin und wieder ein, zwei Worte lang begleitete, kam Monique ihm vor wie eine Figur aus einem Gemälde, die kraft ihrer eigenen Ausstrahlung zum Leben erwacht war. Der Spiegel vermittelte den Eindruck, es gebe jeweils zwei von ihnen, und in gewisser Weise war dem ja auch so (Arzee hatte das gründlich durchdacht),denn sie war sowohl die Monique, die sie tatsächlich war, als auch die, für die er sie hielt, und er wiederum war sowohl er selbst als auch der Arzee, der ihr gehörte. Und in den Lücken, die zwischen diesen realen und widergespiegelten Wesen klafften, wie auch in den Übereinstimmungen waberten die verschiedensten Bedeutungen und Möglichkeiten.
    Und Arzee ärgerte sich jetzt auch nicht mehr über seinen Körper, denn dieser wurde endlich von jemand anderem akzeptiert – und zwar von niemand Geringerem als Monique, einer Körperexpertin! Monique war es auch, die ihm als Erste sagte, er sei gar nicht so klein, wie er meine – er habe einen großen Mann in sich, der nach außen dränge und in Arzees Haltung, Gestik und Mimik zum Vorschein komme. Die Realität eines Körpers lasse sich nicht allein in Zentimetern erfassen, denn warum sonst kämen einem manche Dicke dick vor, andere hingegen genau richtig, und warum wirkten manche großgewachsenen Menschen groß, andere, eigentlich gleich große, dagegen weniger? Wenn er an der Bushaltestelle stehen blieb und sich mit seinen glutvollen, von buschigen Brauen überwölbten Augen umsah oder wenn er sich das stachelige Kinn kratzte und zum Himmel aufblickte, wie um dort Zeichen zu lesen, die nur für ihn sichtbar waren – das waren Gesten, die ganze Dezimeter ausmachten! Wie er sich mit den Fingern durchs Haar fuhr oder die Schultern leicht anspannte und herunterdrückte, als fühlte er sich
zu groß
, oder wie ein Pferd mit dem Füßen scharrte, wenn er ungeduldig war, oder mit einem Arm unter dem Kopf dalag, so dass die herrlichen Konturen seiner Brust und Arme zur Geltung kamen – wer brauchte schon die paar Dezimeter mehr an Sehnen, Fleisch und Knochen, wenn er das alles hatte? Er lächelte nie so recht, selbst wenn er lächelte, denn in seinen Augen blieb immerein Anflug von Wachsamkeit und Misstrauen stehen, noch lachte er nicht so recht, sondern ließ selbst in den lustigsten Momenten nur ein kehliges Glucksen hören. Ständig klopfte er mit den Fingernägeln auf irgendwelche Flächen und kommunizierte so lautlich die enorme Energie, die er in sich hatte. Er gab doch selbst zu, dass er oft angestarrt wurde – warum wollte er nicht glauben, dass ihn die Leute wegen all
dieser
Dinge anstarrten? Hunde folgten ihm auf Schritt und Tritt, und Tauben schissen ihm viel häufiger auf den Kopf als anderen Leuten; er fand andauernd Münzen auf Straßen und Treppenabsätzen und hatte schon zweimal in seinem Leben eine Sternschnuppe gesehen. All diese Dinge konnten doch nur eins bedeuten: Er war kein Sonderling, sondern jemand ganz Besonderes.

    Bemerkenswert an Monique (so erzählte er Renu) war unter anderem, dass sie zwar sonntags frei hatte, aber nie Urlaub nahm. Selbst Sonne und Mond nahmen sich ab und zu einen Tag frei, nicht aber Monique. Sie war Tonys Star-Coiffeuse, und viele Kunden kamen eigens, um sich von ihr die Haare schneiden zu lassen, deshalb musste sie immer da sein. Im Laufe von sechs Jahren hatte sie nur zweimal Grippe bekommen, und zwar wundersamerweise einmal übers Wochenende und das andere Mal, als in Bombay gestreikt wurde. An seinem Geburtstag jedoch hatte sie sich aus eigenem Antrieb einen halben Tag freigenommen und vorgeschlagen, sie könnten doch vormittags nach Mandwa fahren. Monique liebte ihn wirklich!
    Sie trafen sich bei Sonnenaufgang am Gateway of India und bestiegen einen Katamaran, der die gegenüberliegende Küste ansteuerte. Bald tuckerten sie auf dem blaugrauen Wasserdahin. Monique hatte Sandwiches mit Eiern, Käse und Huhn eingepackt, und an der Theke auf Deck kauften sie heißen, zu süßen Tee. Schmale silbrige Fische flitzten unter der Wasseroberfläche umher, und sie passierten zwei verlassene Schiffe, die im Morgenlicht geisterhaft wirkten. Wie es wohl wäre, heimlich auf so einem Schiff zu leben? Sie begannen sich all die Vorteile auszumalen. Zum Beispiel müssten sie keine Miete bezahlen, und wenn dieses Problem erst mal aus dem Weg geschafft war, konnte man in Bombay richtig gut leben.

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