Der kleine Lord
ersten Feuer des
Triumphes übersah er nicht, daß dem unterliegenden
Teile wohl minder fröhlich ums Herz sein möchte, und
daß es dem andern ein Trost sein könnte, in
äußeren Umständen die Ursache seiner
Niederlage zu sehen.
Mr. Havisham hatte an diesem Morgen noch eine lange
Unterredung mit dem kleinen Sieger, in deren Verlauf er mehr als einmal
lächelte und sein Kinn mit der mageren Hand rieb.
Mrs. Errol war abgerufen worden, und Cedrik und der Advokat
blieben miteinander allein; anfangs zerbrach sich Mr. Havisham ein
wenig den Kopf, was er mit seinem jugendlichen Gefährten
anfangen solle; es schwebte ihm dunkel vor, daß es vielleicht
am besten wäre, ihn auf die Begegnung mit seinem
Großvater und die ihm bevorstehende große
Veränderung ein wenig vorzubereiten. Daß Cedrik von
dem Leben, das ihn in England erwartete, und von seinem
künftigen Daheim keinerlei Begriff hatte, war klar, sogar
daß seine Mutter nicht unter einem Dache mit ihm wohnen
würde, wußte er nicht; Mrs. Errol hielt es
für besser, ihm diese Schreckenskunde vorläufig zu
ersparen.
Mr. Havisham saß in einem Lehnstuhle am offnen
Fenster, dem gegenüber stand ein noch
größerer, in welchem Cedrik saß und Mr.
Havisham unverwandt anblickte. Er hatte sich ganz zurück
gesetzt in dem für sein kleines Gestältchen
ungeheuren Fauteuil, das lockige Köpfchen schmiegte sich in
die Kissen, die Beine waren übereinander gelegt, die
Hände steckten wieder tief in den Taschen und die ganze
Haltung war entschieden frei nach Mr. Hobbs. Schon als seine Mama noch
im Zimmer gewesen war, hatte er Mr. Havisham sehr genau beobachtet, und
nachdem sie hinausgegangen war, fuhr er fort, ihn mit einer Art von
Andacht anzublicken; ein Schweigen entstand, und der alte Herr und der
kleine Junge schienen sich mit gegenseitigem Interesse zu studieren.
Was er jedoch mit einem Jungen, der Rennen gewann, Pumphöschen
trug und dessen rotbestrumpfte Beine nicht über den Stuhlsitz
herunterreichten, sprechen sollte, darüber kam Mr. Havisham
nicht so leicht mit sich ins reine, bis Cedrik ihm plötzlich
aus der Verlegenheit half, indem er die Konversation eröffnete.
»Ich weiß gar nicht, was ein Graf
ist,« bemerkte er ernsthaft.
»Wirklich nicht?« erwiderte Mr. Havisham.
»Nein, und wenn man einmal einer werden muß,
sollte man das doch wissen, meinen Sie nicht auch?«
»Allerdings – gewiß,« gab
Mr. Havisham zur Antwort.
»Würden Sie nicht so gut sein und mir das
auseinandersetzen?« bat Ceddie sehr respektvoll, wobei er nur
einige Silben verschluckte, was ihm bei den beliebten langen
Wörtern des öftern vorkam. »Wer hat ihn denn
zu einem Grafen gemacht?«
»In erster Linie ein König oder eine
Königin,« sagte Mr. Havisham.
»Gewöhnlich erhält er den Titel zur
Belohnung für irgend einen bedeutenden Dienst, den er seinem
Landesherrn leistet, oder sonst eine große That.«
»O!« sagte Cedrik. »Das ist also
wie der Präsident.«
»Meinst du?«
»Ja gewiß,« versicherte Ceddie
freudig. »Wenn jemand sehr gut ist und sehr viel
weiß, dann wird er Präsident. Dann gibt es einen
Fackelzug und Musik und viele Reden. Manchmal habe ich gedacht, ich
möchte wohl Präsident werden; Graf zu werden, daran
habe ich nie gedacht: ich wußte ja nichts davon,«
setzte er eilig hinzu, besorgt, Mr. Havisham könnte es ihm
verargen.
»Die Sache ist doch ziemlich verschieden von einer
Präsidentenwahl.«
»Weshalb?« fragte Cedrik. »Gibt es
keinen Fackelzug?«
Mr. Havisham schlug nun gleichfalls die Beine
übereinander und legte mit außerordentlicher Sorgfalt
die Fingerspitzen der beiden Hände aufeinander; er hielt die
Zeit für gekommen, den Gegenstand etwas eingehender zu
erörtern.
»Ein Graf ist – ist eine sehr
einflußreiche Persönlichkeit,« begann er.
»O, ein Präsident auch,« siel ihm
Ceddie ins Wort. »Der Fackelzug, der ist immer fünf
Meilen lang und Raketen steigen und Musik spielt.«
»Ein englischer Graf,« fuhr Mr. Havisham
ziemlich unsicher fort, »gehört jedenfalls einem sehr
alten Geschlechte an, denn –«
»Was heißt das?« forschte Ceddie.
»Er ist von alter, sehr alter Familie.«
»Ach!« sagte Cedrik und seine kleinen
Hände versanken noch tiefer in seine Taschen. »Da ist
die Apfelfrau beim Park wahrscheinlich auch von sehr alter Familie. Ja,
ganz gewiß ist sie von uraltem Geschlecht, denn die ist so
alt, so alt, ach, Sie würden sich wundern,
Weitere Kostenlose Bücher