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Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Titel: Der Kleine Mann und die Kleine Miss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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mitbrachte. Sechs
Tische waren mit Tellern, Würstchen, Semmeln und Senftöpfen beladen und von
schwatzenden und schmatzenden Kunden umlagert.

    Den
leeren Tisch in der Mitte schmückte ein bestickter Wimpel mit der Inschrift:
›Hier schmeckt’s dem König. Täglich zwischen 16 und 17 Uhr. Würstchengott,
Hoflieferant.‹
    »Das
nenne ich praktisch«, meinte der Jokus, »jeder Tisch hat zwei Etagen.«
    Der
Meister, der sie persönlich bediente, strahlte. »Meine eigne Erfindung«, sagte
er stolz. »Ich habe sie als den ›Zweistöckigen Steh- und Esstisch für Groß und
Klein‹ beim Patentamt angemeldet. Guten Appetit allerseits.« Dann stapfte er
ins Schlachthaus, um für die dampfenden Kessel noch ein paar Spieße mit
Würstchen zu holen.
    »Solche
Tische nennst du praktisch?«, fragte Mäxchen den Professor. »Da kann ich nur
staunen.«
    Der
Jokus und der König bissen andächtig in die heißen Würstchen und seufzten
selig. Mäxchen bekam von beiden Männern einen Happen ab, seufzte gleichfalls
und rutschte an einem der Tischbeine in die untere Etage.
    Dort
bissen gerade Judith und Osram in ihre Würstchen, dass es nur so knackte. Sie
verdrehten vor Wonne die Augen. Mäxchen kostete auch hier, hätte sich fast die
Zunge verbrannt und schnappte nach Luft.
    »Was
sagst du nun?«, fragte Osram.
    Aber
Mäxchen sagte gar nichts. Er war schon wieder am Tischbein hochgeklettert und
ließ sich droben vom König weiterfüttern.
    »Noch
zwei Paar heiße Würstchen!«, rief der König.
    Kurz
darauf rief Judith: »Noch zwei Paar heiße Würstchen, bitte! Für die
Kinderetage!«
    Der
Fleischermeister brachte wieder vier Paar angeschleppt.
    Wieder
ließ man sich’s schmecken. Und wieder kletterte Mäxchen zwischen den zwei
Tischplatten hin und her und hinauf und herunter. Erst nach der zwanzigsten
Klettertour gab er das Rennen auf.
    »Wie
hat’s geschmeckt?«, fragte Judith.
    »Du
hast Recht gehabt«, antwortete Mäxchen. »Sie zergehen einem auf der Zunge.«
    Auf
der Fahrt zum Schloss kaufte König Bileam fünf rote Tulpen.
    »Für
meine liebe Frau«, sagte er.
    »Damit
Mutti nicht schimpft«, stellte Osram sachlich fest.
    Prinzessin
Judith lächelte klug vor sich hin. »Zwei Tulpen, weil wir zu spät kommen, und
zwei Tulpen, weil wir satt sind. Doch wozu die fünfte?«
    »Damit
sie sich freut«, erklärte der König. »Und nun putzt euch den Mund. Hier ist
mein Taschentuch.«
    Die
Königin blieb bis zur vierten Tulpe ungnädig. Doch bei der fünften schmolz ihr
strenger Bück. Denn in der fünften Tulpe stand Mäxchen, steckte den Wuschelkopf
über den Blumenrand und sagte: »Je später der Abend, umso schöner die Gäste.«
Da band sich die Königin vor Vergnügen die Küchenschürze ab.

    Nach
der Begrüßung liefen die zwei Königskinder, mit Mäxchen in der Hand, ins
Spielzimmer, wo sie schon am Vormittag die Ritterburg, die Eisenbahn und das
Blockhaus mit den Trappern und den Siouxindianern aufgebaut hatten. Zuerst
setzten sie die elektrische Eisenbahn in Betrieb. Osram stellte die Weichen.
    Judith
bediente die Signale. Und Mäxchen war der Lokomotivführer. Er hatte genau die
richtige Größe. (Aber wir wollen die drei beim Spielen nicht stören. Kinder
haben das gar nicht gerne.)

     
    Inzwischen
saßen Bileam, seine Frau und der Jokus in der Schlossbibliothek. Die Herren
tranken ein Glas Wein. Die Königin nähte mit ein paar Stichen die Krone auf dem
Hut ihres Mannes fester. Und manchmal hörten sie das Kindergeschrei aus dem
Spielzimmer.
    »Das
Schloss ist nicht sehr groß«, sagte der König. »Und alt ist es erst recht
nicht. Dagobert, mein Vorgänger, ließ es nach seiner Wahl im Jahre 1912 bauen,
und der Geschmack war damals ziemlich schauderhaft.«
    »Aber
die Mauern sind solide«, meinte seine Frau, »die Zimmer sind nicht so niedrig
wie heutzutage, und seit wir Ölheizung haben, gibt es auch keine feuchten Wände
mehr.« Sie biss den Nähfaden ab. »So, Bileam, nun sitzt die Krone wieder fest.
Ich hänge den Hut in die Garderobe.« Sie ging und ließ die beiden allein.
    »Stimmt
es, dass Breganzona ursprünglich eine Künstlerkolonie war?«, fragte der Jokus.
    »Eine
Ferieninsel für Maler, Musiker und Schriftsteller, nichts weiter. Aber die Welt
draußen wurde immer lauter, die Fabrikschornsteine qualmten immer giftiger, die
Kriege wurden immer übler, und das Goldene Kalb wuchs, bis es ein Riesenochse
war –
    da
blieben die Sommergäste für immer hier.«
    »Und
aus dem Künstlervölkchen wurde ein

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