Der kleine Mann
ausgestorben.
Mäxchen drehte sich um und blickte auf die Haustür, durch die, kurz zuvor, Otto mit ihm herausgestolpert war. Neben der Tür hing ein blaues Schild mit einer weißen Hausnummer. Und unter der Nummer stand, klein und weiß, der Namen der Straße.
„Kickelhahnstraße 12“, murmelte Mäxchen. „Kickel-hahnstraße 12.“ Als er es zum dritten Mal vor sich hinsagte, öffnete sich im Hause gegenüber, im Erdgeschoß, ein Fenster. Dann lümmelte sich ein Junge aufs Fensterbrett, holte aus einer braunen Tüte Kirschen heraus, steckte eine Kirsche nach der anderen in den Mund und spuckte die Kirschkerne auf die Straße. Er zielte nach einem kleinen grünen Kinderball, der dort herumlag, und machte seine Sache gar nicht schlecht.
20. Kapitel
Der Kirschenspucker ärgert sich und heißt Jakob / Mäxchen telefoniert und wartet auf die Zukunft / Die Wagen 1 und 2 und 3 / Der kahle Otto fährt im Auto / Mäxchen fährt im Auto / Jakob fährt im Auto / Die stille Straße liegt wieder still.
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„Hallo!“ rief Mäxchen.
Aber der Junge am Fenster ließ sich nicht stören, sondern fuhr in seinen Zielübungen fort. Es war gar nicht so einfach, den grünen Ball mit einem Kirschkern zu treffen. Matrosen hätten es vielleicht geschafft. (Die Kerle sollen ja, wie jedes Kind weiß, wahre Meisterspucker sein. Als Steuermann und Kapitän lassen sie etwas nach. Wahrscheinlich ist es eine Altersfrage.)
„Hallo!“ rief Mäxchen noch lauter
Der Junge blickte über die Straße, spuckte dann aber, weil er niemanden sah, sorgfältig weiter.
Mäxchen wurde unruhig. Die Zeit verging. Was konnte er tun? Wie konnte er den Jungen in Trab bringen? Glücklicherweise hatte er einen erfolgversprechenden Einfall. ,Ich werde ihn solange beschimpfen*, dachte er, ,bis ihn die kalte Wut packt.*
Er rief also wieder „Halloooh!“ und dann, weil der Junge nicht reagierte, sondern die nächste Kirsche in den Mund steckte: „Bist du denn taub, du alter Hornochse?“ Der Junge zuckte zusammen, verschluckte hierbei den Kirschkern und starrte grimmig in Mäxchens Richtung. Welcher Elende gehörte zu dieser unverschämten Stimme?
„Mach kein so dämliches Gesicht!“ brüllte Mäxchen. „Sonst tauschen dich deine Eltern beim nächsten Ausverkauf um!“
Da schwang der Junge drüben die Beine übers Fensterbrett. „Nun wird mir’s zu bunt!“ stieß er hervor. „Was zuviel ist, ist zuviel!“ Er sprang aufs Pflaster, kam über die Straße gesaust, blieb vor dem Gartentor stehen, ballte empört die Fäuste und sah weit und breit keine Menschenseele. „Zeig dich, du Feigling!“ rief er außer sich. „Tritt aus dem Gebüsch, du Abschaum! Ich werde dich zwischen meinen Handflächen zerreiben!“
Darüber mußte Mäxchen laut lachen.
Der Junge hob den Kopf, entdeckte Mäxchen, der, oben auf dem Sockel, an der Sandsteinkugel lehnte, und sperrte
entgeistert den Mund auf. Er wollte etwas sagen, aber es hatte ihm die Sprache verschlagen. Keinen Ton brachte er heraus.
„Weißt du, wer ich bin?“ fragte Mäxchen.
Der Junge nickte eifrig.
„Willst du mir helfen?“
Der Junge nickte noch viel eifriger. Seine Augen leuchteten.
„Ich mußte dich so ärgern“, erklärte Mäxchen, „sonst wärst du nicht herübergekommen, ‘tschuldigung.“
Der Junge nickte schon wieder. Oder noch immer. Dann brachte er endlich den ersten Ton heraus. „Nicht der Rede wert, Kleiner Mann“, sagte er. „Ist schon vergessen. Ich heiße Jakob.“
„Ich heiße Mäxchen. Habt ihr Telefon?“
Jakob nickte.
„Halte deine Hand auf!“ sagte Mäxchen. „Aber zerreibe mich nicht zwischen den Handflächen!“
Jakob wurde puterrot und hielt die Hand so hoch, wie er konnte. Mäxchen sprang vom Sockel herunter. Mitten in die geöffnete Hand.
Jakob rannte über die Straße, setzte den Kleinen Mann aufs Fensterbrett, kletterte an der Mauer hoch und schwang sich ins Zimmer. Dann ergriff er Mäxchen wieder und lief zum Schreibtisch. Dort stand das Telefon.
„Wen willst du anrufen?“ fragte Jakob.
„Die Kriminalpolizei“, sagte Mäxchen. „Denn wenn ich den Jokus im Hotel anrufe, — aber den Jokus kennst du nicht.“
„Erlaube mal!“ meinte Jakob. „Natürlich kenne ich den Professor Jokus von Pokus! Ich kenn euch alle beide. Aus dem Zirkus und vom Fernsehen und aus der Zeitung und überhaupt!“
„Denn wenn ich den Jokus anrufe, kommt er sofort und dreht dem kahlen Otto den Hals um. Und anschließend erst recht dem Bernhard. Das würde nur
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