Der kleine Mann
Reise hingehen?“
Da legte Bernhard die Zeitung langsam aus der Hand. „Jetzt habe ich dich verstanden“, sagte er leise. Er wargrün vor Wut. „Aber gib dir keine Mühe, du halber Zwerg. Hier hört dich keiner.“ Er griff wieder nach der Zeitung. „Trotzdem rate ich dir, dich anständig aufzuführen. Denn ich habe den Auftrag, dich lebendig abzuliefern. Lebendig und so gesund wie möglich. Dafür kriege ich sehr viel Geld. Folglich liegt mir daran, daß du nicht krank wirst oder unter meinen Absatz gerätst. Verstehst du mich?“
„Ziemlich gut“, sagte Mäxchen und gab sich Mühe, nicht mit den Zähnen zu klappern.
„Wenn du mir allerdings Scherereien machst, pfeife ich auf das Geld. Es sind schon größere Zwerge als du ganz plötzlich gestorben.“
Mäxchen bekam eine Gänsehaut.
„Drum sei ein braves Kind“, fuhr Bernhard fort, „und denke an deine kostbare Gesundheit.“ Dann schlug er die Zeitung von neuem auf und las die Sportnachrichten.
Mäxchens Sorgen und Ängste wurden größer und größer. Die Polizei und der Jokus fanden ihn nicht. Die hohe Belohnung führte zu nichts. Und er selber wußte auch nicht weiter.
Natürlich hatte er nachts, während der kahle Otto auf der Couch lag und schlief, das Zimmer untersucht. Er war, an der Tischdecke herunter und an der Gardine hoch, aufs Fenster geklettert. Was hatte er gesehen? Auf der anderen Straßenseite eine Reihe Häuser. In der Ferne einen Kirchturm. Und das Fenster war verriegelt.
Er war auf dem Fußboden herumgekrochen und hatte die Wände und vor allem die Türleisten gründlich untersucht. Aber nirgends war auch nur die kleinste Ritze, durch die er sich hätte hindurchzwängen können. Und was wäre denn gewesen, wenn er schließlich im Korridor gestanden hätte? Dort gab es wieder Türen! Die Wohnungstür. Die Haustür. Mindestens diese zwei.
Doch über Ritzen nachzudenken, die es nicht gab, war ja sowieso unnütz. Er saß in dem verteufelten Zimmer fest wie ein Nagel in der Wand. Und die Zeit verging und war nicht zu bremsen. Bald würden die beiden Halunken, von denen er nur die Vornamen kannte, in irgendeinem Flugzeug sitzen. Mit einer unscheinbaren Streichholzschachtel in Bernhards Jackettasche.
Und in der Streichholzschachtel wären keine Streichhölzer. Statt dessen läge, für viele Stunden hübsch chloroformiert, ein gewisses Mäxchen Pichelsteiner in der Schachtel, der berühmte Kleine Mann, von dem die Welt nie wieder etwas hören und sehen würde. Die Welt nicht und, was tausendmal schlimmer war, auch nicht der berühmte Zauberkünstler und Zirkusprofessor Jokus von Pokus.
Mäxchen biß die Zähne zusammen. ,Ich darf nicht schlappmachen’, dachte er. ,Ich muß aus diesem Zimmer fort. So schnell wie möglich, Es geht nicht? Mir fällt nichts ein? Ich bin dafür zu dumm? Das wäre ja gelacht!’
19. Kapitel
Ausführlicher Bericht über Señor Lopez / Die Burg in Südamerika / Bilder von Remscheid und Inkasso / Flugkarten für Freitag / Magenkrämpfe, nicht ganz echt / Der kahle Otto rennt in die Apotheke / Mäxchen sitzt auf einem Gartentor.
Der Mittwoch wurde ein ereignisreicher Tag. Otto hatte schon morgens einen respektablen Schwips und erzählte, aus freien Stücken, allerlei über den geheimnisvollen Señor Lopez. Später kam Bernhard aus der Stadt zurück, zeigte Otto die Flugkarten für Freitag, die er besorgt hatte, ging aber bald wieder fort, weil er hungrig war.
„Ich werde im ,Krummen Würfel’ essen“, sagte er, „und in einer Stunde löse ich dich ab.“
„Ist gut“, meinte Otto. „Wenn sie Eisbein mit Sauerkraut haben, sollen sie mir zwei Portionen aufheben. Das wird genügen. Ich habe heute keinen rechten Appetit.“
Als Bernhard gegangen war, bekam Mäxchen plötzlich gräßliche Magenkrämpfe und wimmerte und jammerte, daß sich Otto die Ohren zuhielt. Aber ich glaube, es ist gescheiter, wenn ich zunächst ausführlicher berichte, was der kahle Otto ein paar Stunden früher über den geheimnisvollen Señor Lopez erzählt hatte.
Also, Otto war schon zum Frühstück betrunken gewesen. Voll wie eine Strandhaubitze. Vielleicht hatte er die Kaffeekanne mit der Schnapsflasche verwechselt gehabt. Oder er hatte versehentlich mit Himbeergeist gegurgelt. Jedenfalls begann er ungefragt:
„Dieser Lopez, das ist ein toller Hecht. Señor heißt Herr. Ein toller Herr, dieser Hecht. Reicher als die Bank von England. An jedem Finger zwei bis drei Ringe. Einen so’n Ring, und ich kauf die Schweiz!
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