Der kleine Vampir (01)
«freut mich, dich zu sehen.»
«Psst!», flüsterte Anton. «Feind hört mit!»
«Ach so», sagte der Vampir.
«Meine Mutter», flüsterte Anton, «sie hat sich den Fuß verstaucht.»
Besonders beunruhigt schien der Vampir allerdings nicht zu sein. Vielmehr blickte er mit leuchtenden Augen auf die Tür und leckte sich die Lippen.
«Du wirst doch nicht etwa …», stotterte Anton. Der Verdacht, der plötzlich in ihm auftauchte, war so schrecklich, dass er nicht wagte, ihn auszusprechen. Aber der Vampir hatte ihn auch so verstanden. Er machte ein verlegenes Gesicht und sagte: «Nein, nein, keine Sorge. Außerdem hab ich schon gegessen.» Dabei stieß er ein krächzendes Gelächter aus, das Anton erschrocken zusammenfahren ließ.
In diesem Augenblick hatte der Vampir die Bücher bemerkt.
«‹Vampire – die zwölf schrecklichsten Geschichten›», las er, und freudig überrascht fragte er: «Neu?»
Anton nickte. «Und das da auch: ‹Draculas Rache›.»
«‹Draculas Rache›?» Fast liebevoll nahm der Vampir das Buch in die Hand. «Das hört sich gut an!»
«Hast du das andere wieder mitgebracht?», fragte Anton
«Ähäm», machte der Vampir und hustete betreten, «das hat zurzeit meine kleine Schwester.»
«Deine kleine Schwester?», rief Anton.
«Na ja. Du kriegst es schon wieder. Sie hat so gebettelt, und da konnte ich nicht nein sagen.»
Und während er «Draculas Rache» schnell unter seinen Umhang steckte, sagte er: «Nächste Woche kriegst du dann beide wieder.»
«Na gut», sagte Anton. «Übrigens, wie findest du mein Bild?»
Stolz wies er auf das Poster am Schrank.
«Das ist von dir?» Der Vampir verzog anerkennend die Mundwinkel. «Nicht schlecht.»
«Und wie findest du den Vampir?»
«Gut! Aber vielleicht ist der Mund etwas zu rot.»
«Zu rot? Aber deiner ist doch auch so rot!»
«Na ja», sagte der Vampir und hüstelte, «ich habe ja auch – gegessen.»
«Ach so», murmelte Anton, «das hab ich natürlich nicht gewusst. Aber ich kann ihn ja nochmal übermalen», meinte er.
Plötzlich hörte er, dass die Wohnzimmertür geöffnet wurde. «Meine Mutter!», rief er. «Schnell, in den Schrank!»
«Warum denn?», fragte der Vampir und wollte zum Fenster. «Ich kann doch auch …»
«Nein, nein», sagte Anton, «sie geht ja gleich wieder.»
Da klopfte es auch schon an Antons Tür.
«Anton», rief die Mutter, «wollen wir Tee trinken?»
«Ach», sagte Anton, während er zur Tür ging und sich dabei angestrengt eine Ausrede überlegte, «ich hab gar keinen Durst.»
Er öffnete die Tür nur einen Spaltbreit.
«Und Malefiz? Was hältst du davon?»
«Mein Buch ist gerade so spannend.»
«Du, Anton», sagte die Mutter mit besorgter Stimme und versuchte, an ihm vorbei ins Zimmer zu spähen, «du bist doch nicht krank? Ist dir schlecht?»
«Wieso denn?»
«Es riecht so merkwürdig bei dir. Anton, hast du etwa mit Streichhölzern gespielt?»
«I-ich?», rief Anton empört. «Nein!»
«Irgendetwas stimmt hier nicht», erklärte die Mutter, und entschlossen schob sie Anton zur Seite und betrat mit humpelnden Schritten das Zimmer. Misstrauisch sah sie sich um, konnte aber offenbar nichts Besonderes entdecken. Doch dann fiel ihr Blick auf den Schrank, und mit dem Ausruf: «Ja, was ist denn das?», packte sie den geheimnisvollen Zipfel schwarzen Stoffes, der aus der geschlossenen Schranktür hervorsah, und zog daran.
«Au», rief eine dumpfe Stimme aus dem Schrank, «mein Umhang!»
Anton war kreidebleich geworden.
«Ein Freund von mir», sagte er schnell und stellte sich schützend vor die Schranktür.
«Und warum im Schrank?», fragte die Mutter.
«Weil – er ist etwas lichtscheu.»
«Soso, lichtscheu», sagte die Mutter, «ich würde ihn aber trotzdem gern mal sehen.»
«Nein, das ist unmöglich.»
«Und warum?»
«Weil – er ist heute in seinem Faschingskostüm gekommen.»
«In seinem Faschingskostüm?», lachte die Mutter. «Das ist ja noch ein Grund mehr, ihn sich anzugucken! Frag ihn doch, ob er mit uns Tee trinken will!»
Anton schüttelte den Kopf. «Das will er bestimmt nicht. Er trinkt nämlich keinen – Tee.»
«Nein? Was dann?»
Aus dem Schrank war ein heiseres Krächzen zu hören. «Trinkt er vielleicht – Saft?», fragte die Mutter.
«Wenn er schön rot ist!», knurrte der Vampir aus dem Schrank.
Erschrocken zuckte die Mutter zusammen. «Roten Saft hab ich nicht», sagte sie, «aber Brause.»
«Brause – pfui!», fauchte der Vampir.
«Na, dann
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