Der Klient
Idee des Zeugenschutzprogramms sehr lauwarm reagiert. Es könnte einige Zeit dauern. Das arme Ding ist nur noch ein Nervenbündel.«
»Bearbeiten Sie sie. Kann sie heute ins Gericht kommen? Mir wäre es sehr lieb, wenn ich mit ihr sprechen könnte.«
»Ich werde es versuchen.«
»Wir sehen uns um zwölf.«
Sie goß sich noch eine weitere Tasse Kaffee ein und kehrte auf den Balkon zurück. Axle schlief unter dem Schaukelstuhl. Zwischen den Bäumen erschien das erste Licht der Dämmerung. Sie hielt den warmen Becher mit beiden Händen umfaßt und zog ihre nackten Füße unter den dicken Bademantel. Sie schnupperte das Aroma des Kaffees und dachte daran, wie widerwärtig ihr die Presse war. Alle Welt würde also über die Anhörung Bescheid wissen. Soviel zum Thema Vertraulichkeit. Ihr kleiner Mandant war plötzlich in noch viel größerer Gefahr. Jetzt war offenkundig, daß er etwas wußte, was er eigentlich nicht wissen sollte. Sonst hätte er einfach die Fragen beantwortet, die der Richter ihm gestellt hatte.
Diese Sache wurde von Stunde zu Stunde gefährlicher. Und von ihr, Reggie Love, Rechtsanwältin, wurde erwartet, daß sie alle Antworten parat hatte und ideale Ratschläge erteilte. Mark würde sie ansehen mit seinen verängstigten blauen Augen und sie fragen, wie es weiterging. Wie zum Teufel sollte sie das wissen?
Sie waren auch hinter ihr her.
Doreen weckte Mark zeitig. Sie hatte ihm Heidelbeerplätzchen mitgebracht, und sie verzehrte eines davon, während sie ihn sehr besorgt musterte. Mark saß auf einem Stuhl, hielt ein Plätzchen in der Hand, aß aber nicht, sondern schaute nur leeren Blickes auf den Fußboden. Dann hob er das Plätzchen langsam zum Mund, nahm einen winzigen Bissen, dann ließ er es in seinen Schoß sinken. Doreen beobachtete jede seiner Bewegungen.
»Bist du okay, Junge?« fragte sie ihn.
Mark nickte langsam. »Oh, es geht mir gut«, sagte er mit hohler, heiserer Stimme.
Doreen tätschelte ihm das Knie, dann die Schulter. Ihre Augen waren schmal, und sie war sehr beunruhigt. »Ich bin den ganzen Tag über hier«, sagte sie, stand auf und ging zur Tür. »Und ich schaue von Zeit zu Zeit herein.«
Mark ignorierte sie und biß ein weiteres kleines Stückchen von seinem Plätzchen ab. Die Tür schlug zu und klickte, und plötzlich stopfte er sich den Rest des Plätzchens in den Mund und griff nach einem weiteren. Er stellte den Fernseher an, aber ohne Kabel war er gezwungen, sich Bryant Gumbel anzusehen. Keine Comics. Keine alten Filme. Nur Willard mit einem Hut auf dem Kopf, der Maiskolben aß und Süßkartoffel-Stäbchen.
Zwanzig Minuten später kam Doreen wieder. Die Schlüssel klirrten, die Verriegelung sprang zurück, und die Tür ging auf. »Komm mit, Mark«, sagte sie. »Du hast Besuch.«
Plötzlich war er wieder still, abwesend, in einer anderen Welt versunken. Er bewegte sich langsam. »Wer?« fragte er mit dieser hohlen Stimme.
»Deine Anwältin.«
Er stand auf und folgte ihr auf den Flur. »Geht es dir wirklich gut?« fragte sie und hockte sich vor ihm nieder. Er nickte langsam, und sie gingen zur Treppe.
Reggie wartete in einem kleinen Konferenzraum ein Stockwerk tiefer. Sie und Doreen, alte Bekannte, tauschten Höflichkeiten aus, dann wurde die Tür abgeschlossen. Sie ließen sich an einem kleinen runden Tisch nieder.
»Sind wir noch Freunde?« fragte sie mit einem Lächeln. »Ja. Tut mir leid wegen gestern.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Mark. Glaube mir, ich verstehe dich. Hast du gut geschlafen?«
»Ja. Viel besser als im Krankenhaus.«
»Doreen sagt, sie macht sich Sorgen um dich.«
»Mir geht es gut. Wesentlich besser als Doreen.«
»Gut.« Reggie holte eine Zeitung aus ihrem Aktenkoffer und legte sie mit der Titelseite nach oben auf den Tisch. Er las den Artikel sehr langsam.
»Drei Tage hintereinander auf der Titelseite, das ist schon was«, sagte sie in dem Versuch, ihm ein Lächeln zu entlocken.
»Es wird allmählich langweilig. Ich dachte, die Anhörung wäre vertraulich.«
»Das sollte sie auch sein. Richter Roosevelt hat mich heute früh angerufen. Er ist sehr wütend wegen dieser Story. Er hat vor, den Reporter vorzuladen und in die Mangel zu nehmen.«
»Dazu ist es zu spät. Die Story steht nun mal in der Zeitung. Alle Leute können sie lesen. Es ist ziemlich klar, daß ich der Junge bin, der zuviel weiß.«
»So ist es.« Sie wartete, während er sie noch einmal las und die Fotos von sich selbst betrachtete.
»Hast du mit
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