Der Klient
hast.«
»Und danach können sie mich umbringen.«
»Das glaube ich nicht, Mark.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und schloß die Augen. Hoch oben auf seiner linken Wange war eine leichte Prellung, die sich braun verfärbt hatte. Heute war Freitag. Am Montag hatte Clifford ihn geschlagen, und obwohl das bereits Wochen zurückzuliegen schien, erinnerte die Stelle sie daran, daß das alles viel zu schnell ging. Der arme Junge trug noch immer die Wunden der Attacke.
»Wo würden wir hingehen?« fragte er leise mit immer noch geschlossenen Augen.
»Weit weg. Mr. Lewis vom FBI erwähnte eine kinderpsychiatrische Klinik in Portland, die eine der besten sein soll. Ricky wird es dort an nichts fehlen.«
»Können sie uns nicht folgen?«
»Das FBI kann das verhindern.«
Er sah sie an. »Weshalb trauen Sie plötzlich dem FBI?«
»Weil sonst niemand da ist, dem man trauen könnte.«
»Wie lange wird all das dauern«
»Da gibt es zwei Probleme. Das erste sind der Papierkram und die Einzelheiten des Arrangements. Mr. Lewis sagte, das könnte binnen einer Woche erledigt werden. Das zweite ist Ricky. Es könnte ein paar Tage dauern, bis Dr. Greenway einer Verlegung zustimmt.«
»Also verbringe ich noch eine Woche im Gefängnis?«
»Sieht so aus. Tut mir leid.«
»Das braucht Ihnen nicht leid zu tun, Reggie. Ich komme hier schon zurecht. Ich könnte es sogar lange Zeit hier aushalten, wenn man mich in Ruhe läßt.«
»Aber man wird dich nicht in Ruhe lassen.«
»Ich muß mit meiner Mutter sprechen.«
»Vielleicht ist sie heute bei der Anhörung dabei. Richter Roosevelt möchte, daß sie kommt. Ich nehme an, er wird sich wieder mit den FBI-Leuten zusammensetzen und mit ihnen über das Zeugenschutzprogramm reden.«
»Wenn ich doch im Gefängnis bleiben muß, wozu dann die Anhörung?«
»In Fällen von Mißachtung muß der Richter dich in regelmäßigen Abständen immer wieder vorführen lassen, um dir Gelegenheit zu geben, dich von der Mißachtung zu befreien, mit anderen Worten, zu tun, was er von dir verlangt.«
»Das System stinkt, Reggie. Die Gesetze sind saublöde, finden Sie nicht?«
»Ja, oft.«
»Letzte Nacht, als ich zu schlafen versuchte, hatte ich einen ganz verrückten Gedanken. Ich dachte – was ist, wenn die Leiche gar nicht da ist, wo sie nach Cliffords Angabe sein soll? Was ist, wenn Clifford sich einfach etwas zusammengesponnen hat? Ist Ihnen dieser Gedanke schon einmal gekommen, Reggie?«
»Ja. Viele Male.«
»Was ist, wenn das alles nur ein großer Witz ist?«
»Darauf würde ich mich nicht verlassen, Mark.«
Er rieb sich die Augen und schob seinen Stuhl zurück. Dann begann er, in dem kleinen Raum umherzuwandern, plötzlich sehr nervös. »Also packen wir einfach unsere Sachen und lassen unser bisheriges Leben hinter uns, richtig? Sie haben gut reden, Reggie. Sie sind nicht diejenige, die die Alpträume haben wird. Sie machen weiter, als wäre nie etwas passiert. Sie und Clint. Momma Love. Hübsche kleine Kanzlei. Massenhaft Klienten. Aber nicht wir. Wir verbringen den Rest unseres Lebens in Angst.«
»Das glaube ich nicht.«
»Aber Sie wissen es nicht, Reggie. Es ist leicht, hier zu sitzen und zu sagen, alles wäre in bester Ordnung. Es ist nicht Ihr Hals, um den es hier geht.«
»Du hast keine andere Wahl, Mark.«
»Doch, die habe ich. Ich könnte lügen.«
Es war nur ein Antrag auf Vertagung, normalerweise ein ziemlich langweiliges juristisches Routinescharmützel, aber nichts war langweilig, wenn Barry das Messer Muldanno der Angeklagte und Willis Upchurch das Sprachrohr war. Und wenn dann noch das enorme Selbstbewußtsein von Reverend Roy Foltrigg und das geschickte Manipulieren der Presse durch Wally Boxx hinzukamen, dann herrschte bei so einer harmlosen kleinen Anhörung die Atmosphäre einer Exekution. Der Gerichtssaal des Ehrenwerten James Lamond war voll bis auf den letzten Platz; von Neugierigen, der Presse und einem kleinen Heer von eifersüchtigen Anwälten, die wichtigere Dinge zu erledigen hatten, aber zufällig in der Nähe gewesen waren. Sie wanderten herum, unterhielten sich mit ernster Miene und warfen ständig gespannte Blicke auf die Vertreter der Medien. Kameras und Reporter locken Anwälte an wie Blut die Haie.
Hinter der Barriere, die die Akteure von den Zuschauern trennte, stand Foltrigg im Zentrum eines engen Kreises seiner Mitarbeiter und unterhielt sich im Flüsterton und mit gerunzelter Stirn mit ihnen, als planten sie eine Invasion. Er trug
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