Der Klient
hellblauen Jacke schob einen Wagen mit Reinigungsmaterialien auf den Fahrstuhl zu. Er war ungefähr fünfundzwanzig, hatte lange Haare und war offensichtlich unzufrieden mit seiner niederen Arbeit.
Slick trat vor die Fahrstühle, und als die Tür aufging, folgte er dem Mann hinein. Oberhalb der Brusttasche war der Name Fred auf die Jacke genäht. Sie waren allein.
»Sie arbeiten im neunten Stock?« fragte Slick, gelangweilt, aber mit einem Lächeln.
»Ja.« Fred sah ihn nicht an.
»Ich bin Slick Moeller von der Memphis Press und arbeite an einer Story über Ricky Sway in Zimmer 943. Sie wissen schon, die Sache mit dem Mann, der sich erschossen hat.« Er hatte schon frühzeitig gelernt, daß es am besten war, wenn man von Anfang an mit dem Wer und Was herausrückte.
Fred war plötzlich interessiert. Er richtete sich auf und sah Slick an, als wollte er sagen: »Ja, ich weiß eine Menge, aber von mir erfahren Sie nichts.« Der Wagen zwischen ihnen war vollgepackt mit Ajax, Comet und zwanzig Flaschen mit speziellen Krankenhaus-Reinigungsmitteln. Auf dem unteren Bord stand ein Eimer mit schmutzigen Lappen und Schwämmen. Fred war ein Toilettenschrubber, wurde aber in Sekundenschnelle zu einem Mann mit Insiderwissen. »Ja«, sagte er gelassen.
»Haben Sie den Jungen gesehen?« fragte Slick beiläufig, während er das Aufleuchten der Nummern über der Tür verfolgte.
»Ja, ich komme gerade von dort.«
»Ich habe gehört, es wäre ein schwerer traumatischer Schock.«
»Kann schon sein«, sagte Fred selbstgefällig, als wären seine Geheimnisse weltbewegend. Aber er wollte reden, und das hörte nie auf, Slick in Staunen zu versetzen. Man nehme einen Durchschnittsmenschen, sage ihm, man wäre ein Reporter, und in neun von zehn Fällen fühlt er sich verpflichtet zu reden. Will unbedingt reden. Einem seine tiefsten Geheimnisse anvertrauen.
»Armer Junge«, murmelte Slick zum Fußboden hin, als läge Ricky im Sterben. Weiter sagte er ein paar Sekunden lang gar nichts, und das war zuviel für Fred. Was für ein Reporter war das? Wo blieben die Fragen? Er, Fred, kannte den Jungen, hatte gerade sein Zimmer verlassen, hatte mit seiner Mutter gesprochen. Er, Fred, war ein Akteur in diesem Spiel.
»Ja, er ist in schlechter Verfassung«, sagte Fred, gleichfalls zum Fußboden.
»Immer noch im Koma?«
»Er kippt immer wieder weg. So was kann lange dauern.«
»Ja. Das habe ich auch gehört.«
Der Fahrstuhl hielt im fünften Stock, aber Freds Wagen blokkierte die Tür, und niemand trat ein. Die Tür schloß sich wieder.
»Man kann nicht viel tun für ein Kind in diesem Zustand«, erklärte Slick. »Ich erlebe es immer wieder. So ein Junge sieht irgend etwas Schreckliches, im Bruchteil einer Sekunde, und verfällt in Schock, und es dauert Monate, ihn wieder herauszuholen. Haufenweise Psychiater. Wirklich traurig. Aber so schlimm steht es nicht mit dem kleinen Sway, oder?«
»Ich glaube nicht. Dr. Greenway meint, daß er in ein oder zwei Tagen wieder zu sich kommen wird. Er wird eine Therapie brauchen, aber er wird es schaffen. Das habe ich schon oft erlebt. Denke selbst daran, Medizin zu studieren.«
»Haben Polizisten hier herumgeschnüffelt?«
Fred ließ den Blick herumwandern, als wäre der Fahrstuhl voller Abhörgeräte. »Ja. Das FBI war den ganzen Tag hier. Die Familie hat sich schon einen Anwalt genommen.«
»Was Sie nicht sagen.«
»Ja, die Leute vom FBI interessieren sich mächtig für diesen Fall, und sie reden mit dem Bruder des Jungen. Irgendwie ist ein Anwalt in die Sache hineingeraten.«
»Wer ist der Anwalt?« fragte Slick.
Die Tür ging auf, und Fred schob seinen Wagen vorwärts. »Reggie Soundso. Hab ihn noch nicht gesehen.«
»Danke«, sagte Slick, als Fred verschwand und der Fahrstuhl sich füllte. Er fuhr wieder in den neunten Stock, auf der Suche nach einem weiteren Fisch.
Bis Mittag waren Roy Foltrigg und seine ständigen Begleiter Wally Boxx und Thomas Fink im Büro des Bundesanwalts für den Western District von Tennessee zu einem kollektiven Ärgernis geworden. George Ord bekleidete dieses Amt seit sieben Jahren. Er konnte Roy Foltrigg nicht ausstehen. Er hatte ihn nicht aufgefordert, nach Memphis zu kommen. Ord kannte Foltrigg von zahlreichen Konferenzen und Seminaren her, bei denen die Bundesanwälte zusammenkommen und über Mittel und Wege beraten, die Regierung zu schützen. Bei diesen Zusammenkünften hielt Foltrigg gewöhnlich eine Rede, immer darauf bedacht, jeden, der zuhören
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