Der Klient
berichtete. Er hieß in Wirklichkeit Alfred, aber das wußte niemand. Seine Mutter hatte ihm den Spitznamen Slick gegeben, aber nicht einmal sie konnte sich noch erinnern, wie er entstanden war. Drei Ehefrauen und an die hundert Freundinnen hatten ihn Slick genannt. Er zog sich nicht sonderlich gut an, hatte die High School nicht beendet, hatte kein Geld, war mit durchschnittlichem Aussehen und Körperbau gesegnet, fuhr einen Mustang, konnte keine Frau halten, und deshalb wußte niemand, weshalb er Slick genannt wurde.
Verbrechen war sein Leben. Er kannte die Drogenhändler und die Zuhälter. Er trank Bier in den Oben-ohne-Bars und plauderte mit den Rausschmeißern. Er besaß eine Kartei über die Mitglieder der Motorradbanden, die die Stadt mit Drogen und Stripperinnen belieferten. Er konnte sich in den rauhesten Vierteln von Memphis bewegen, ohne einen Kratzer abzubekommen. Er kannte sämtliche Angehörige der Straßengangs. Er hatte nicht weniger als ein Dutzend Autoschieberringe hochgehen lassen, indem er der Polizei die entsprechenden Tips gab. Er kannte die ehemaligen Sträflinge, insbesondere diejenigen, die rückfällig geworden waren. Er kam Hehlern auf die Spur, indem er lediglich die Pfandleihen beobachtete. Seine vollgestopfte Wohnung in der Innenstadt war völlig uninteressant, abgesehen von einer ganzen Wand voll von Notruf-Scannern und Polizeifunk-Empfängern. In seinem Mustang waren mehr Geräte als in einem Streifenwagen, ausgenommen ein Radar-Meßgerät, und das wollte er nicht haben.
Slick Moeller lebte in den dunklen Schatten von Memphis. Oft war er noch vor der Polizei am Schauplatz eines Verbrechens. Er bewegte sich ungehindert durch die Leichenhallen, Krankenhäuser und Bestattungsunternehmen für Schwarze. Er verfügte über Tausende von Kontaktpersonen und Quellen, und sie redeten mit Slick, weil man ihm vertrauen konnte. Wenn etwas vertraulich war, dann blieb es auch vertraulich. Hintergrund war Hintergrund. Ein Informant wurde niemals bloßgestellt, Tips streng geheimgehalten. Slick war ein Mann, der Wort hielt, und das wußten sogar die Anführer der Straßengangs.
Außerdem kannte er praktisch jeden Polizisten in der Stadt beim Vornamen, und viele von ihnen sprachen von ihm mit großer Hochachtung und nannten ihn Maulwurf. Maulwurf Moeller hat dies getan. Maulwurf Moeller hat jenes gesagt. Da Slick zu seinem eigentlichen Namen geworden war, machte ihm auch der Spitzname nichts aus. Es gab nichts, was Slick viel ausmachte. Er trank Kaffee mit Polizisten in einem der hundert Lokale in der Stadt, die die ganze Nacht geöffnet hatten. Er sah zu, wie sie Softball spielten, wußte Bescheid, wenn ihre Frauen die Scheidung eingereicht hatten, wußte, ob einer von ihnen sich einen Verweis eingehandelt hatte. Er schien sich mindestens zwanzig Stunden pro Tag im Polizeipräsidium aufzuhalten, und es war nicht ungewöhnlich, daß Polizisten ihn ansprachen und ihn fragten, was gerade so los war. Wer wurde erschossen? Wo war der Überfall? War der Fahrer betrunken? Wie viele Tote hat es gegeben? Slick sagte ihnen so viel, wie er konnte. Er half ihnen, wann immer es möglich war. Im Unterricht an der Polizeiakademie von Memphis fiel oft sein Name.
Und deshalb war es für niemanden eine Überraschung, daß Slick auf der Suche nach Informationen den ganzen Vormittag im Polizeipräsidium verbrachte. Er hatte seine Anrufe in New Orleans gemacht und war über die grundlegenden Fakten informiert. Er wußte, daß Roy Foltrigg und das FBI von New Orleans in der Stadt waren und daß alles jetzt in ihren Händen lag. Das gab ihm zu denken. Es war kein simpler Selbstmord; dazu gab es zu viele ausdruckslose Gesichter und »Kein Kommentar«Reaktionen. Es gab einen Abschiedsbrief, doch auf alle Fragen danach erhielt er nur abschlägige Antworten. Er wußte Bescheid über die Jungen und darüber, daß es dem jüngeren sehr schlecht ging. Es gab ein paar Fingerabdrücke, ein paar Zigarettenstummel.
Er verließ den Fahrstuhl im neunten Stock und ging in die dem Schwesternzimmer entgegengesetzte Richtung. Er kannte die Nummer von Rickys Zimmer, aber dies war die Psychiatrische Abteilung, und er hatte nicht vor, mit seinen Fragen hineinzustürmen. Er wollte niemandem Angst einjagen, schon gar nicht einem Achtjährigen, der einen Schock erlitten hatte. Er steckte zwei Vierteldollar in den Getränkeautomaten und trank langsam eine Diätcola, als wäre er die ganze Nacht im Gebäude herumgewandert. Ein Mann in einer
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