Der Klient
der ein paar Hiebe einstecken mußte. Es war fast komisch.
Aber sie blieb gelassen. Sie streckte langsam einen schlanken Finger mit weißem Nagellack aus und zeigte damit auf Roy. »Wenn Sie noch einmal in die Nähe meines Mandanten kommen und versuchen, ohne meine Zustimmung irgendwas von ihm zu bekommen, dann verklage ich Sie und das FBI. Ich bringe bei den Anwaltskammern von Louisiana und Tennessee eine Beschwerde wegen standeswidrigen Verhaltens ein, und ich zerre Sie hier vor das Jugendgericht und bitte den Richter, Sie in eine Zelle zu sperren.« Die Worte wurden mit einer ganz ruhigen Stimme gesprochen, emotionslos, aber so sachlich und nüchtern, daß jeder Anwesende, Roy Foltrigg nicht ausgenommen, wußte, daß sie genau das tun würde, was sie angekündigt hatte.
Er lächelte und nickte. »Gut. Tut mir leid, wenn wir ein bißchen vom Pfad der Tugend abgewichen sind. Aber die Sache brennt uns auf den Nägeln, und wir müssen mit Ihrem Mandanten reden.«
»Haben Sie mir alles gesagt, was Sie über Mark wissen?«
Foltrigg und Trumann konsultierten ihre Notizen. »Ja, ich denke schon.«
»Was ist das?« fragte sie und deutete auf die Akte, in die McThune vertieft war. Er las gerade den Bericht über ihren Selbstmordversuch, und in den Plädoyers wurde unter Berufung auf eidlich beschworene Aussagen behauptet, daß sie vier Tage im Koma gelegen hatte, bevor sie wieder zu sich kam. Offensichtlich war ihr Ex-Gatte, Dr. Cardoni, dem Plädoyer zufolge der letzte Abschaum, ein hundsgemeiner Mensch mit einer Menge Geld und einer Schar von Anwälten, und sobald Regina/Reggie die Tabletten genommen hatte, war er mit einem Stapel von Anträgen zum Gericht gerannt, um das Sorgerecht für die Kinder zu bekommen. Angesichts der auf die Papiere aufgestempelten Eingangsdaten konnte nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß der gute Doktor Anträge stellte und um Anhörungen nachsuchte, während sie im Koma lag und um ihr Leben rang.
McThune geriet nicht in Panik. Er sah sie unschuldig an und sagte: »Nur internes Zeug.« Das war keine Lüge – er getraute sich nicht, sie anzulügen. Sie hatte das Tonband, und sie hatte sie zur Wahrhaftigkeit verpflichtet.
»Über meinen Mandanten?«
»O nein.«
Sie studierte ihre Notizen. »Wir sollten morgen wieder zusammenkommen«, sagte sie. Es war kein Vorschlag, sondern eine Anweisung.
»Es eilt uns wirklich sehr, Reggie«, erklärte Foltrigg.
»Aber mir nicht. Und ich denke, ich bestimme, wo’s langgeht, oder?«
»Ja, das tun Sie wohl.«
»Ich brauche Zeit, um das zu verdauen und mit meinem Mandanten zu reden.«
Das war nicht gerade das, was sie wollten, aber ihnen war schmerzlich bewußt, daß es alles war, was sie bekommen würden. Foltrigg schraubte mit großer Geste die Kappe auf seinen Federhalter und verstaute seine Notizen in seinem Aktenkoffer. Trumann und McThune folgten seinem Beispiel, und eine Minute lang bebte der Tisch, während sie mit Papieren und Akten hantierten und alles wieder einpackten.
»Um welche Zeit morgen?« fragte Foltrigg, knallte seinen Aktenkoffer zu und schob seinen Stuhl zurück.
»Um zehn. In diesem Büro.«
»Wird Mark Sway hier sein?«
»Das weiß ich nicht.«
Sie standen auf und verließen im Gänsemarsch das Zimmer.
12
W ally Boxx rief mindestens viermal pro Stunde das Büro in New Orleans an. Foltrigg hatte siebenundvierzig stellvertretende Bundesanwälte, die alle möglichen Verbrechen verfolgten und die Interessen der Regierung wahrnahmen, und Wallys Aufgabe war es, ihnen die Anweisungen ihres in Memphis weilenden Chefs zu übermitteln. Außer Thomas Fink arbeiteten noch drei weitere Anwälte an dem Fall Muldanno, und es war Wally ein Bedürfnis, sie jede Viertelstunde mit Instruktionen und den letzten Neuigkeiten über Clifford zu versorgen. Am Mittag wußte das ganze Büro über Mark Sway und seinen kleinen Bruder Bescheid. Klatsch und Spekulationen schwirrten durch die Luft. Was wußte der Junge? Würde er sie zu der Leiche führen? Anfangs wurden diese Fragen nur von den drei Muldanno-Anklägern erörtert, aber schon am frühen Nachmittag ergingen sich die Sekretärinnen im Kaffeezimmer in wilden Theorien über den Abschiedsbrief und das, was der Junge erfahren haben mochte, bevor Clifford sich die Kugel in den Kopf schoß. Sämtliche andere Arbeit kam praktisch zum Erliegen, während man in Foltriggs Büro auf Wallys nächsten Anruf wartete.
Foltrigg hatte schon öfter schlechte Erfahrungen mit Indiskretionen
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