Der Klient
»Ist das die ganze Geschichte, Mark?«
»Ich weiß es nicht. Es ist jedenfalls alles, woran ich mich im Moment erinnern kann«, murmelte er, als hätte er Zahnschmerzen.
»Du warst tatsächlich in dem Wagen?« sagte Dianne, ohne die Augen zu öffnen.
Er deutete auf sein leicht geschwollenes linkes Auge. »Schau her. Das ist die Stelle, wo er mich geschlagen hat, als ich versuchte, aus dem Wagen herauszukommen. Mir war ziemlich lange schwindlig. Vielleicht war ich sogar bewußtlos. Ich weiß es nicht.«
»Du hast gesagt, du wärst in der Schule in eine Prügelei geraten.«
»Daran kann ich mich nicht erinnern, Mom, und wenn ich das gesagt habe, dann lag es vielleicht daran, daß ich einen Schock hatte.« Verdammt. Schon wieder bei einer Lüge ertappt.
Greenway strich sich den Bart. »Ricky hat gesehen, wie er dich gepackt und in den Wagen gezerrt hat. Und er hat den Schuß gehört. Wow.«
»Ja. Jetzt sehe ich alles wieder vor mir, ganz deutlich. Tut mir leid, daß ich mich nicht früher erinnert habe, aber mein Kopf war irgendwie leer. Ungefähr so wie der von Ricky.«
Eine weitere lange Pause.
»Offengestanden, Mark, mir fällt es schwer, zu glauben, daß du dich nicht wenigstens an einiges von alldem schon gestern abend erinnern konntest«, sagte Greenway.
»Das verstehe ich nicht. Sehen Sie sich Ricky an. Er hat gesehen, was mit mir passiert ist, und ihn hat es in diesen Zustand getrieben. Haben wir gestern abend miteinander gesprochen?«
»Na, hör mal, Mark«, sagte Dianne.
»Natürlich haben wir miteinander gesprochen«, sagte Greenway mit mindestens vier neuen Falten auf der Stirn.
»Ja, mir ist auch so. Ich weiß es nur nicht mehr so genau.«
Greenway sah stirnrunzelnd Dianne an, und ihre Blicke trafen sich. Mark ging ins Badezimmer und trank Wasser aus einem Pappbecher.
»Okay«, sagte Dianne. »Hast du es schon der Polizei erzählt?«
»Nein. Es ist mir doch gerade erst wieder eingefallen. Hast du das vergessen?«
Dianne nickte langsam und brachte ein schwaches Lächeln zustande. Ihre Augen waren schmal, und seine richteten sich rasch wieder auf den Fußboden. Sie glaubte die ganze Geschichte über den Selbstmord, aber auf dieses plötzliche Wiederauftauchen klarer Erinnerungen war sie nicht hereingefallen. Sie würde ihn sich später vornehmen.
Auch Greenway hatte seine Zweifel, aber ihm ging es mehr darum, seinem Patienten zu helfen, als Mark Vorwürfe zu machen. Er strich sich sanft den Bart und betrachtete die Wand. Es trat eine lange Pause ein.
»Ich hab Hunger«, sagte Mark schließlich.
Reggie traf mit einer Stunde Verspätung ein und entschuldigte sich. Greenway war für diesen Tag gegangen. Mark übernahm stotternd die Vorstellungszeremonie. Sie lächelte Dianne an, als sie sich die Hand gaben, dann setzte sie sich neben sie aufs Bett. Sie stellte ihr ein Dutzend Fragen über Ricky. Sie war sofort eine Freundin der Familie, besorgt und voller Anteilnahme. Was war mit ihrem Job? Schule? Geld? Kleidung?
Dianne war erschöpft und verletzlich, und es war schön, mit einer Frau zu reden. Sie ging aus sich heraus, und eine Weile unterhielten sie sich darüber, was Greenway zu diesem und jenem gesagt hatte, über alle möglichen Dinge, die mit Mark und seiner Geschichte und dem FBI, dem einzigen Grund für Reggies Anwesenheit, nichts zu tun hatten.
Reggie hatte eine Tüte mit Sandwiches und Chips mitgebracht, und Mark packte sie aus und legte alles auf einen Tisch neben Rickys Bett. Er verließ das Zimmer, um Getränke zu holen. Sie bemerkten es kaum.
Er holte im Wartezimmer zwei Dr. Peppers aus dem Automaten und kehrte in das Zimmer zurück, ohne von Polizisten, Reportern oder Revolvermännern der Mafia aufgehalten worden zu sein. Die Frauen waren in ein Gespräch darüber vertieft, wie McThune und Trumann versucht hatten, Mark zu verhören. Reggie erzählte die Geschichte so, daß Dianne gar nichts anderes übrigblieb, als dem FBI zu mißtrauen. Sie waren beide empört. Dianne war zum ersten Mal seit vielen Stunden angeregt und lebendig.
Jack Nance & Associates war eine stille Firma, die als Sicherheitsspezialisten inserierte, in Wirklichkeit aber nur aus zwei Privatdetektiven bestand. Ihre Anzeige im Branchenbuch war eine der kleinsten in der ganzen Stadt. Ihnen lag nichts an den alltäglichen Scheidungsfällen, bei denen ein Partner fremdging und der andere Fotos wollte. Sie besaßen keinen Lügendetektor. Sie entführten keine Kinder. Sie machten nicht Jagd auf diebische
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