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Der Klient

Titel: Der Klient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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nicht daran gehindert haben, sich zu erschießen. Das ist alles ziemlich beängstigend, Mom.«
    Sie beobachtete ihn genau, während er seine Erklärung vorbrachte, und er wich ihrem Blick aus. Es trat eine lange Pause ein. »Hast du mir alles erzählt?« fragte sie langsam, als wüßte sie genau Bescheid.
    Zuerst hatte er sie im Wohnwagen angelogen, während sie auf die Ambulanz warteten und Hardy bei ihnen war und zuhörte. Erst gestern abend in Rickys Zimmer, unter Greenways Kreuzverhör, hatte er die erste Version der Wahrheit von sich gegeben. Er erinnerte sich, wie betrübt sie gewesen war, als sie die revidierte Geschichte hörte, und wie sie später gesagt hatte: »Du hast mich noch nie angelogen, Mark.«
    Sie hatten so viel zusammen durchgemacht, und hier war er nun und tänzelte um die Wahrheit herum, wich Fragen aus, erzählte Reggie mehr, als er seiner Mutter erzählt hatte. Ihm war gar nicht wohl in seiner Haut.
    »Mom, das ist gestern alles so schnell passiert. Gestern abend war in meinen Gedanken alles verschwommen, aber heute habe ich in Ruhe darüber nachgedacht. Gründlich nachgedacht. Ich hab die ganze Sache schrittweise ablaufen lassen, Minute für Minute, und jetzt erinnere ich mich wieder an vieles.«
    »Woran zum Beispiel?«
    »Nun, du weißt, wie das auf Ricky gewirkt hat. Ich glaube, auch für mich war es eine Art Schock. Nicht so schlimm, aber ich erinnere mich jetzt an Dinge, an die ich mich schon gestern abend hätte erinnern müssen, als ich mit Dr. Greenway sprach. Leuchtet dir das ein?«
    Es leuchtete ihr in der Tat ein. Sie war plötzlich besorgt. Die beiden Jungen waren Zeugen desselben Ereignisses gewesen. Der eine hatte einen Schock erlitten. Da lag es nahe, daß auch der andere gelitten hatte. Daran hatte sie nicht gedacht. Sie beugte sich zu ihm hinunter. »Mark, bist du in Ordnung?«
    Er wußte, daß er sie hatte. »Ich denke schon«, sagte er mit einem Stirnrunzeln, als hätte er einen Migräneanfall.
    »An was kannst du dich erinnern?« fragte sie vorsichtig.
    Er holte tief Luft. »Nun, ich weiß jetzt …«
    Greenway räusperte sich und tauchte aus dem Nirgendwo auf. Mark wirbelte herum. »Ich muß jetzt gehen«, sagte Greenway, fast als Entschuldigung. »Ich sehe in ein paar Stunden wieder nach ihm.«
    Dianne nickte, sagte aber nichts.
    Mark beschloß, es hinter sich zu bringen. »Hören Sie, Doktor, ich erzähle Mom gerade ein paar Dinge, an die ich mich jetzt zum ersten Mal wieder erinnern kann.«
    »An den Selbstmord?«
    »Ja, Sir. Den ganzen Tag über ist mir die Sache durch den Kopf gegangen, und ein paar Einzelheiten sind mir wieder eingefallen. Ich glaube, einige davon könnten wichtig sein.«
    Greenway sah Dianne an. »Lassen Sie uns ins Zimmer gehen und darüber sprechen«, sagte er.
    Sie gingen in das Zimmer, machten die Tür hinter sich zu und hörten dann zu, wie Mark versuchte, die Lücken auszufüllen. Es war eine Erleichterung, diese Last loszuwerden, obwohl er die meiste Zeit redete, ohne Dianne und den Doktor anzusehen. Es war eine Schau, dieses schmerzliche Hervorzerren von Szenen aus einem geschockten und schwer in Mitleidenschaft gezogenen Bewußtsein, und er zog sie mit Bravour ab. Er brach oft ab, legte lange Pausen ein, in denen er nach Worten suchte, um etwas zu beschreiben, das längst in seinem Gedächtnis verankert war. Gelegentlich warf er einen Blick auf Greenway, und die Miene des Arztes blieb unbewegt. Von Zeit zu Zeit sah er auch seine Mutter an, und sie schien nicht enttäuscht zu sein. Sie behielt die ganze Zeit einen Ausdruck mütterlicher Anteilnahme bei.
    Doch als er zu der Stelle kam, wie Clifford ihn gepackt hatte, konnte er sehen, daß sie unruhig wurden. Er hielt die Augen unverwandt auf den Boden gerichtet. Dianne seufzte, als er von der Pistole erzählte. Greenway schüttelte den Kopf, als er den Schuß durchs Fenster erwähnte. Gelegentlich fürchtete er, sie würde ihn anschreien wegen seiner Lügen am Vorabend, aber er mühte sich weiter voran, allem Anschein nach verstört und tief in Gedanken versunken.
    Er berichtete sorgfältig über jede Einzelheit, die Ricky gesehen oder gehört haben konnte. Die einzigen Details, die er für sich behielt, waren Cliffords Geständnisse. Er erinnerte sich lebhaft an die Verrücktheiten: »La-La-Land« und »Ab zum großen Zauberer«.
    Als er fertig war, saß Dianne auf dem Klappbett, rieb sich die Stirn und redete von Valium. Greenway saß auf einem Stuhl und ließ sich kein Wort entgehen.

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