Der Klient
und der Mann bewegte sich schnell und stellte sich wieder neben die Tür. In letzter Sekunde traten zwei Schwestern ein, und Mark konnte endlich wieder atmen. Er blieb in der Ecke, hielt sich am Griff fest und betete um ein Wunder. Die Klinge war bei jeder Attacke nähergekommen, und noch einmal würde er das nicht durchstehen. Im dritten Stock stiegen drei weitere Personen ein und traten zwischen Mark und den Mann mit dem Messer. Blitzschnell war Marks Angreifer verschwunden; durch die bereits zugleitende Tür.
»Bist du okay?« Eine Schwester musterte ihn, stirnrunzelnd und sehr besorgt. Der Fahrstuhl ruckte an und fuhr abwärts. Sie berührte seine Stirn und spürte eine Schicht Schweiß unter den Fingern. Seine Augen waren feucht. »Du siehst blaß aus«, sagte sie.
»Ich bin okay«, murmelte er schwach und hielt sich haltsuchend am Griff fest.
Die andere Schwester schaute auf ihn in seiner Ecke herab. Sie musterten voller Besorgnis sein Gesicht. »Bist du sicher?«
Er nickte, und plötzlich hielt der Fahrstuhl im zweiten Stock an. Er schoß zwischen Körpern hindurch, rannte einen schmalen Flur entlang und wich Krankenbetten und Rollstühlen aus. Seine abgetragenen Nike-Laufschuhe quietschten auf dem sauberen Linoleum, als er auf eine Tür mit dem EXIT-Schild darüber zurannte. Er hielt sich am Geländer fest und rannte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben, ohne auch nur eine Sekunde innezuhalten. Die Schmerzen in seinen Oberschenkeln kamen im sechsten Stock, aber er rannte noch schneller. Im achten Stock begegnete er einem Arzt, hielt aber trotzdem nicht an. Er rannte, erklomm den Berg in Rekordzeit, bis die Treppe im fünfzehnten Stock endete. Er sackte auf einem Absatz unter einem Wasserschlauch zusammen und blieb im Halbdunkel sitzen, bis durch ein winziges Buntglasfenster über ihm die Sonne hereinfiel.
Gemäß seiner Vereinbarung mit Reggie schloß Clint das Büro um genau acht Uhr auf, schaltete das Licht ein und machte Kaffee. Es war Mittwoch, also gab es Southern Pecan. Er suchte unter den zahllosen Ein-Pfund-Paketen mit Kaffeebohnen im Kühlschrank, bis er Southern Pecan gefunden hatte. Dann maß er sorgfältig vier Löffel davon ab und tat sie in die Mühle. Sie merkte sofort, wenn er das Maß auch um nur einen halben Löffel verfehlt hatte. Den ersten Schluck trank sie immer wie ein Weinkenner, schmatzte mit den Lippen wie ein Kaninchen und fällte dann ihr Urteil über den Kaffee. Er fügte die abgemessene Menge Wasser hinzu, legte den Schalter um und wartete darauf, daß die ersten schwarzen Tropfen in die Kanne fielen. Das Aroma war köstlich.
Clint genoß den Kaffee fast ebenso wie seine Chefin, und die sorgfältige Routine seiner Zubereitung wurde nur zur Hälfte ernst genommen. Sie begannen jeden Tag mit einer ruhigen Tasse, wobei sie den Tag planten und über die Post sprachen. Sie hatten sich elf Jahre zuvor bei einer Entziehungskur kennengelernt, als sie vierzig war und er siebzehn. Sie hatten gleichzeitig mit dem Jurastudium begonnen, aber er war ausgestiegen, nachdem er einen bösen Abstecher zu Kokain gemacht hatte. Jetzt war er seit fünf Jahren clean, sie seit sechs. Sie hatten sich viele Male gegenseitig Halt gegeben.
Er sortierte die Post und legte sie sorgfältig auf ihrem leeren Schreibtisch zurecht. Dann goß er sich seine erste Tasse Kaffee ein und las mit großem Interesse die Titelgeschichte über ihren neuesten Mandanten. Wie gewöhnlich hatte Slick Moeller seine Fakten. Und gleichfalls wie gewöhnlich gab es zwischen den Fakten eine Menge Andeutungen. Die beiden Jungen sahen einander sehr ähnlich, aber Rickys Haar war etwas heller. Er lächelte und präsentierte dabei eine Menge Zahnlücken.
Clint legte die Zeitung mit der Titelseite nach oben auf Reggies Schreibtisch.
Wenn sie keinen Gerichtstermin hatte, erschien Reggie nur selten vor neun Uhr im Büro. Sie kam nur langsam in Gang, lief erst gegen vier Uhr nachmittags zu ihrer vollen Form auf und arbeitete dann bis in den Abend hinein.
Ihre Aufgabe als Anwältin sah sie darin, mißbrauchte und vernachlässigte Kinder zu schützen, und das tat sie mit großem Geschick und voll Leidenschaft. Das Jugendgericht berief sie routinemäßig als Vertreterin mittelloser Kinder, die Anwälte brauchten, es aber nicht wußten. Sie war eine beredte Advokatin kleiner Klienten, die sich nicht bedanken konnten. Sie hatte Väter wegen Belästigung ihrer Töchter verklagt. Sie hatte Onkel wegen Vergewaltigung ihrer
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