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Der Klient

Titel: Der Klient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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zu weinen, aber Mark wußte es nicht genau. »Mein kleiner Bruder ist auch acht. Er liegt in einem Zimmer gleich um die Ecke.«
    »Was fehlt ihm?« fragte der Mann, ohne aufzuschauen.
    »Er hat einen Schock.«
    »Was ist passiert?«
    »Das ist eine lange Geschichte. Und sie wird immer länger. Aber er wird es überstehen. Ich hoffe, Ihr Sohn kommt auch durch.«
    Jack Nance schaute auf die Uhr und stand plötzlich auf. »Das hoffe ich auch. Alles Gute für dich, äh, wie heißt du?«
    »Mark Sway.«
    »Alles Gute, Mark. Ich muß wieder hinunter.« Er ging zu den Fahrstühlen und verschwand.
    Mark nahm seinen Platz auf der Couch ein, und Minuten später war er eingeschlafen.
14
    D ie Fotos auf der Titelseite der Mittwochsausgabe der Memphis Press stammten aus dem Jahrbuch der Willow Street Elementary School. Sie waren ein Jahr alt – Mark war in der vierten Klasse gewesen und Ricky in der ersten. Die Bilder standen nebeneinander auf dem unteren Drittel der Seite, und unter den vergnügten, lächelnden Gesichtern waren die Namen zu lesen. Mark Sway. Ricky Sway. Links davon stand eine Story über Jerome Cliffords Selbstmord und das bizarre Nachspiel, in das die Jungen verwickelt waren. Ihr Verfasser war Slick Moeller. Er hatte sich seine eigene kleine Geschichte zusammengereimt. Das FBI war in die Sache verwickelt; Ricky hatte einen Schock erlitten; Mark hatte 911 angerufen, aber ohne seinen Namen zu nennen; die Familie hatte eine Anwältin engagiert, eine gewisse Reggie Love; Marks Fingerabdrücke waren überall im Innern des Wagens, auch auf der Waffe. Die Story erweckte den Eindruck, daß Mark ein kaltblütiger Killer war.
    Karen brachte ihm die Zeitung, als er in einem leeren, halb privaten Zimmer saß, das dem von Ricky direkt gegenüber lag. Mark schaute sich Cartoons an und versuchte noch ein wenig zu schlafen. Greenway wollte niemanden im Zimmer haben außer Ricky und Dianne. Eine Stunde zuvor hatte Ricky die Augen aufgeschlagen und auf die Toilette gewollt. Jetzt lag er wieder im Bett, murmelte etwas über Alpträume und aß Eiskrem.
    »Du machst Schlagzeilen«, sagte Karen, als sie ihm die Zeitung gab und seinen Orangensaft auf den Tisch stellte. »Was ist das?« fragte er, als er plötzlich sein Gesicht in Schwarzweiß vor sich sah. »Verdammt!«
    »Nur eine kleine Story. Wenn du Zeit hast, hätte ich gern ein Autogramm von dir.«
    Sehr komisch. Sie verließ das Zimmer, und er las langsam den Artikel. Reggie hatte ihm von den Fingerabdrücken und dem Abschiedsbrief erzählt. Er hatte von der Waffe geträumt; aber er hatte völlig vergessen, daß er auch die Whiskeyflasche angefaßt hatte.
    Irgendwas war hier unfair. Er war nur ein Junge, der mit seinen eigenen Angelegenheiten genug zu tun hatte, und jetzt stand plötzlich sein Foto auf der Titelseite, und man zeigte mit Fingern auf ihn. Wieso kann eine Zeitung Fotos aus einem alten Jahrbuch ausgraben und sie abdrucken, wann immer sie will? Hatte er denn kein Recht auf ein wenig Privatleben?
    Er warf die Zeitung auf den Boden und trat ans Fenster. Der Tag brach gerade an, es nieselte, und die Innenstadt von Memphis erwachte allmählich zum Leben. Wie er da in dem leeren Zimmer am Fenster stand und auf die hohen Gebäude hinausschaute, fühlte er sich völlig allein. Binnen einer Stunde würde eine halbe Million Menschen wach sein und über Mark und Ricky Sway lesen, während sie ihren Kaffee tranken und ihren Toast verspeisten. Die dunklen Gebäude würden sich bald mit geschäftigen Leuten füllen, die sich um ihre Schreibtische und Kaffeemaschinen versammelten, und sie würden sich unterhalten und wilde Vermutungen anstellen – über ihn und über das, was es mit dem toten Anwalt auf sich hatte. Natürlich war der Junge in dem Wagen gewesen. Schließlich hatte man überall seine Fingerabdrücke gefunden. Wie war der Junge in den Wagen gekommen? Und wie wieder heraus? Sie würden Slick Moellers Story lesen, als wäre jedes Wort wahr, als wüßte Slick ganz genau, was Sache war.
    Es war nicht fair, daß ein Kind eine Story über sich selbst auf der Titelseite lesen mußte und keine Eltern hatte, hinter denen es sich verstecken konnte. Jedes Kind, dem es so erging, brauchte den Schutz eines Vaters und die ungeteilte Zuneigung einer Mutter. Es brauchte einen Schild gegen Polizisten und FBIAgenten und Reporter und, Gott behüte, die Mafia. Hier war er nun, elf Jahre alt, allein, mal lügend, dann die Wahrheit sagend, dann noch mehr lügend, nie sicher, was er

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