Der Klient
Junge benahm sich seltsam, insbesondere für einen Jungen.
Boxx stand natürlich felsenfest hinter seinem Boss und glaubte alles, was er sagte. Wenn Roy sagte, der Junge weiß, wo die Leiche ist, dann war es das Evangelium. Auf einen seiner vielen Anrufe hin stellte in New Orleans ein halbes Dutzend stellvertretender Bundesanwälte genau dieselben Recherchen an.
Gegen zehn am Dienstagabend klopfte Larry Trumann an die Tür zur Bibliothek und trat ein. Er hatte den größten Teil des Abends in McThunes Büro verbracht. Auf Foltriggs Anweisung hin hatten sie alle nötigen Formalitäten in die Wege geleitet, um Mark Sway Sicherheit im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms anbieten zu können. Sie hatten ein Dutzend Telefongespräche mit Washington geführt und zweimal mit F. Denton Voyles, dem Direktor des FBI, gesprochen. Falls Mark Sway am Morgen Foltrigg nicht die Antworten lieferte, die er haben wollte, würden sie bereit sein, ihm ein überaus attraktives Angebot zu machen. Foltrigg sagte, sie würden leichtes Spiel haben. Der Junge hatte nichts zu verlieren. Sie würden seiner Mutter eine gute Stellung in einer anderen Stadt ihrer Wahl anbieten. Sie würde mehr verdienen als nur die jämmerlichen sechs Dollar pro Stunde, die sie in der Lampenfabrik bekam. Die Familie würde in einem Haus mit Fundament leben, nicht in einem billigen Wohnwagen. Sie würden ihr die Sache mit Bargeld schmackhaft machen, vielleicht auch einem neuen Wagen.
Mark saß im Dunkeln auf der dünnen Matratze und betrachtete seine Mutter, die mit Ricky in dem hohen Krankenbett lag. Er hatte dieses Zimmer und das Krankenhaus satt. Das Klappbett ruinierte seinen Rücken. Leider war die hübsche Karen nicht im Schwesternzimmer. Die Flure waren leer. Niemand wartete auf den Fahrstuhl.
Im Wartezimmer saß ein einsamer Mann. Er blätterte in einer Zeitschrift und ignorierte die Wiederholung von »M.A.S.H.« im Fernsehen. Er saß auf der Couch – genau da, wo Mark zu schlafen gedachte. Mark steckte zwei Vierteldollar in den Automaten und holte eine Sprite heraus. Er setzte sich auf einen Stuhl und schaute auf den Bildschirm. Der Mann war um die Vierzig und sah müde und besorgt aus. Zehn Minuten vergingen, und »M.A.S.H.« war zu Ende. Plötzlich war Gill Teal da, der Anwalt der kleinen Leute; er stand seelenruhig am Schauplatz eines Verkehrsunfalls und redete über das Wahrnehmen von Rechten und den Kampf mit den Versicherungsgesellschaften. Gill Teal bringt Sie ans Ziel.
Jack Nance klappte die Zeitschrift zu und griff zu einer anderen. Er schaute Mark zum ersten Mal an und lächelte. »Hi, Junge«, sagte er freundlich und richtete dann den Blick auf irgendein Herz-und-Krone-Blatt.
Mark nickte. Was er in seinem Leben am allerwenigsten brauchte, war ein weiterer Fremder. Er nippte an seiner Sprite und betete um Ruhe.
»Was machst du hier?« fragte der Mann.
»Fernsehen«, erwiderte Mark kaum hörbar.
Der Mann hörte auf zu lächeln und begann, einen Artikel zu lesen. Die Mitternachtsnachrichten kamen und mit ihnen ein großer Bericht über einen Taifun in Pakistan, mit Liveaufnahmen von toten Menschen und toten Tieren, die an der Küste herumlagen wie Treibholz. Es war die Art von Filmmaterial, bei dem man nicht wegschauen konnte.
»Das ist ja furchtbar«, sagte Jack Nance zum Fernseher hin, als ein Hubschrauber über einem Haufen menschlicher Überreste schwebte.
»Ja«, sagte Mark, bemüht, nicht zugänglich zu werden. Wer weiß – dieser Mann konnte durchaus ein weiterer hungriger Anwalt sein, der nur darauf wartete, sich auf ein verletztes Opfer zu stürzen.
»Wirklich furchtbar«, sagte der Mann und schüttelte den Kopf. »Ich meine, es gibt vieles, wofür wir dankbar sein müssen. Aber es ist schwer, in einem Krankenhaus dankbar zu sein, wenn du weißt, wie ich das meine.« Er sah plötzlich wieder traurig aus und warf Mark einen schmerzlichen Blick zu.
»Was ist los?« Mark konnte nicht anders, er mußte fragen.
»Mein Sohn. Er ist in sehr schlechter Verfassung.« Der Mann warf die Zeitschrift auf den Tisch und rieb sich die Augen.
»Was ist passiert?« fragte Mark. Der Mann tat ihm leid.
»Verkehrsunfall. Trunkenheit am Steuer. Mein Junge wurde aus dem Wagen herausgeschleudert.«
»Wo ist er?«
»Auf der Intensivstation im ersten Stock. Ich mußte einfach von dort weg. Da unten ist es nicht auszuhalten, massenhaft Leute, die ständig schreien und weinen.«
»Es tut mir sehr leid.«
»Er ist erst acht Jahre alt.« Er schien
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