Der Klient
bestellt. Die Theorie war simpel: wenn ein Mann genügend Verstand besaß, um einen Haufen Geld anzusammeln, dann war er bestimmt auch ein würdiger Senator der Vereinigten Staaten.
Boyette wurde Mitglied des exklusivsten Clubs der Welt und erwies sich mit der Zeit als recht fähig. Im Laufe der Jahre entging er nur knapp ein paar Anklagen, darin hatte er offensichtlich seine Lektion gelernt. Er überstand mit knapper Mehrheit zwei Wiederwahlen und gelangte schließlich an den Punkt, an den die meisten Senatoren aus dem Süden gelangen – man ließ ihn einfach in Ruhe. Als dies passierte, wurde Boyette langsam reifer und verwandelte sich vom lautstarken Verfechter der Rassentrennung in einen relativ liberalen und vorurteilslosen Staatsmann. Er fiel bei drei kompromißlosen Gouverneuren von Louisiana in Ungnade, und folglich wurde er bei den Erdöl- und Chemiefirmen, die die Ökologie des Staates ruiniert hatten, zum Outcast.
So wurde Boyd Boyette zu einem radikalen Umweltschützer, was bei einem Südstaaten-Politiker völlig unerhört war. Er wetterte gegen die Öl- und Gasindustrie, und deren Bosse schworen sich, ihn zugrundezurichten. Er hielt in kleinen, vom Ölboom verheerten Bayou-Städten Anhörungen ab und schuf sich Feinde in den Bürohochhäusern von New Orleans. Senator Boyette machte die zerbröckelnde Ökologie seines geliebten Staates zu seiner ureigensten Sache und ging ihr mit Leidenschaft nach.
Sechs Jahre zuvor hatte jemand den Plan ausgeheckt, in Lafourche Parish, ungefähr hundertzwanzig Kilometer südwestlich von New Orleans, eine Giftmülldeponie anzulegen. Beim ersten Mal wurde dieser Plan schnell von den örtlichen Behörden abgeschmettert. Aber wie die meisten von reichen Körperschaften lancierten Ideen verschwand er nicht von der Bildfläche, sondern tauchte ein Jahr später wieder auf, unter anderem Namen, mit einer anderen Gruppe von Gutachtern, neuen Versprechen von Arbeitsplätzen und einem neuen Wortführer. Er wurde ein zweites Mal von den örtlichen Behörden abgelehnt, aber die Gegenstimmen waren erheblich weniger geworden. Ein Jahr verging, einiges Geld wechselte den Besitzer, an den Vorschlägen wurden ein paar kosmetische Veränderungen vorgenommen, und plötzlich stand die Sache wieder auf der Tagesordnung. Die Leute, die in der Umgebung der geplanten Deponie wohnten, waren in heller Aufregung. Gerüchte schwirrten herum, darunter ein besonders hartnäckiges, demzufolge die Mafia von New Orleans hinter der Deponie steckte und keine Ruhe geben würde, bis sie endlich gebaut wäre. Natürlich standen Millionen auf dem Spiel.
Die Zeitungen von New Orleans wiesen glaubhaft nach, daß zwischen der Mafia und der Giftmülldeponie eine Verbindung bestand. Ein Dutzend Firmen war beteiligt, und Namen und Adressen führten zu mehreren bekannten Personen, die eindeutig Kriminelle waren.
Die Bühne stand, der Handel war abgeschlossen, die Deponie sollte genehmigt werden, doch dann trat Senator Boyd Boyette mit einem Heer von Bundesbeamten auf. Er drohte mit Untersuchungen durch ein Dutzend Aufsichtsbehörden. Er hielt allwöchentliche Pressekonferenzen ab. Er hielt Reden im gesamten Süden von Louisiana. Die Befürworter der Deponie gingen eiligst in Deckung. Die Firmen gaben knappe Statements heraus, in denen sie sich jeden Kommentars enthielten. Aber Boyette hatte bewirkt, daß sie vorerst aufgeben mußten, und das bereitete ihm eine diebische Freude.
Am Abend seines Verschwindens hatte der Senator an einer Protestversammlung der Bürger von Houma in einer überfüllten Turnhalle teilgenommen. Er ging spät und trat, wie üblich allein, die einstündige Rückfahrt nach New Orleans an. Schon Jahre zuvor hatte Boyette die Nase vollgehabt von dem ununterbrochenen Gerede und der ständigen Lobhudelei seiner Assistenten; er zog es deshalb vor, selbst zu fahren, wann immer es möglich war. Er lernte Russisch, seine vierte Sprache, und genoß das Alleinsein in seinem Cadillac und das Abhören der Sprachkassetten.
Am Mittag des nächsten Tages war man zu dem Schluß gelangt, daß der Senator verschwunden war. Die sensationellen Schlagzeilen in New Orleans verkündeten die Geschichte. Große Schlagzeilen in der Washington Post vermuteten ein Verbrechen. Die Tage vergingen, und es gab kaum etwas Neues. Es wurde keine Leiche gefunden. An die hundert alte Fotos des Senators wurden ausgegraben und von den Zeitungen veröffentlicht. Die Story hatte bereits jeden Neuigkeitswert verloren, als
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