Der Klient
stimmt’s, Mark?«
»Ja, ich denke schon. Ich weiß nicht, was ich tun soll.« Er murmelte leise, gelegentlich fast unhörbar, nicht willens, sie anzusehen. »Können sie mich zum Reden zwingen?« fragte er. Sie antwortete mit Bedacht. »Es könnte passieren. Ich meine, eine Menge Dinge könnten passieren. Aber es kann durchaus sein, daß ein Richter in einem Gerichtssaal dir schon sehr bald befiehlt, zu reden.«
»Und wenn ich mich weigere?«
»Gute Frage, Mark. Das ist eine Grauzone. Wenn sich ein Erwachsener einer Anordnung des Gerichts widersetzt, dann macht er sich der Mißachtung des Gerichts schuldig und riskiert, daß er ins Gefängnis kommt. Ich weiß nicht, was mit einem Kind passieren würde. Davon habe ich noch nie etwas gehört.«
»Was ist mit einem Lügendetektor?«
»Wie meinst du das?«
»Nun, sagen wir, sie schleppen mich vor Gericht, und der Richter befiehlt mir, mit der Sprache herauszurücken, und ich erzähle die Geschichte, lasse aber den wichtigsten Teil aus. Und sie werden denken, daß ich lüge. Was dann? Können sie mich auf den Stuhl schnallen und anfangen, mir Fragen zu stellen. Das habe ich einmal in einem Film gesehen.«
»Du hast gesehen, wie ein Kind mit einem Lügendetektor verhört wurde?«
»Nein. Es war ein Polizist, den man beim Lügen ertappt hatte. Aber, ich meine, können sie das mit mir tun?«
»Ich glaube nicht. Ich habe nie davon gehört, und ich würde mit allen Mitteln versuchen, es zu verhindern.«
»Aber es könnte passieren?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich bezweifle es.« Das waren harte Fragen, die wie Geschosse auf sie einprasselten, und sie mußte vorsichtig sein. Klienten hörten oft nur das, was sie hören wollten, und nahmen den Rest nicht zur Kenntnis. »Aber ich muß dich warnen, Mark. Wenn du vor Gericht lügst, könntest du große Probleme bekommen.«
Er dachte eine Sekunde lang darüber nach, dann sagte er:
»Wenn ich die Wahrheit sage, bekomme ich noch größere Probleme.«
»Warum?«
Sie wartete lange auf eine Erwiderung. Ungefähr alle zwanzig Sekunden trank er einen kleinen Schluck Kakao; er schien nicht die Absicht zu haben, ihre Frage zu beantworten. Das Schweigen störte ihn nicht. Er starrte auf den Tisch, aber seine Gedanken wirbelten irgendwo anders herum.
»Mark, gestern abend hast du angedeutet, du wärst bereit, mit den Leuten vom FBI zu reden und ihnen deine Geschichte zu erzählen. Jetzt hast du offensichtlich deine Meinung geändert. Warum? Was ist passiert?«
Wortlos stellte er den Becher auf den Tisch und bedeckte seine Augen mit den Fäusten. Sein Kinn sackte auf die Brust, und er fing an zu weinen.
Die Tür zum Empfangszimmer wurde geöffnet, und ein Mädchen von Federal Express erschien mit einem acht Zentimeter dicken Päckchen. Ganz Lächeln und Tüchtigkeit, händigte sie es Clint aus und zeigte ihm, wo er unterschreiben mußte. Sie dankte ihm, wünschte ihm einen schönen Tag und verschwand.
Das Päckchen wurde erwartet. Es kam von Print Research, einer beachtlichen kleinen Firma in Washington, die nichts anderes tat, als zweihundert Tageszeitungen aus dem ganzen Land durchzusehen und die Artikel zu katalogisieren. Die Meldungen wurden ausgeschnitten, kopiert, in Computern erfaßt und standen binnen vierundzwanzig Stunden jedem zur Verfügung, der bereit war, dafür zu bezahlen. Reggie wollte nicht bezahlen, aber sie brauchte schnell Hintergrundmaterial über Senator Boyette und alles, was mit ihm zusammenhing. Clint hatte den Auftrag gestern erteilt, nachdem Mark gegangen war und Reggie einen neuen Mandanten hatte. Die Anforderung war auf die Zeitungen von New Orleans und Washington beschränkt.
Er nahm den Inhalt heraus, einen sauberen Stapel Fotokopien, einundzwanzig mal achtundzwanzig Zentimeter groß, von Zeitungsartikeln, Schlagzeilen und Fotos, alle in perfekter chronologischer Reihenfolge und mit gerade verlaufenden Spalten, die Bilder unverschmiert.
Boyette war ein gestandener Demokrat aus New Orleans gewesen und hatte bereits mehrere Amtszeiten als Hinterbänkler im Repräsentantenhaus hinter sich, als eines Tages Senator Dauvin, ein Relikt aus Vorkriegszeiten, aber immer noch im Amt, im Alter von einundneunzig Jahren plötzlich starb. Boyette setzte seine Beziehungen ein, machte ganz im Einklang mit der großen alten Tradition der Politik in Louisiana einen Haufen Bargeld flüssig und fand einen Empfänger dafür. Er wurde vom Gouverneur für den Rest von Dauvins Amtszeit zu dessen Nachfolger
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