Der Klient
Hocke auf Händen und Knien ins Gras sinken. Er kroch auf den Wagen zu, weinend und mit den Zähnen knirschend, während er auf dem Bauch vorwärtsrobbte. Gleich würde die Tür auffliegen. Der Verrückte, der zwar dick war, aber schnell, würde aus dem Nirgendwo hervorspringen und ihn beim Hals pakken, genau wie Mark, und dann würden sie alle sterben in dem langen, schwarzen Wagen. Langsam, Zentimeter um Zentimeter, bahnte er sich seinen Weg durch das Gras.
Mark hob langsam mit beiden Händen die Pistole. Sie war so schwer wie ein Ziegelstein und zitterte, als er sie auf den dicken Mann richtete, der sich ihr entgegenlehnte, bis der Lauf nur noch zwei Zentimeter von seiner Nase entfernt war.
»So, und jetzt drück ab, Junge«, sagte er mit einem Lächeln, und sein feuchtes Gesicht strahlte und funkelte vor freudiger Erwartung. »Drück ab, und ich bin tot, und du kannst abhauen.« Mark krümmte den Finger um den Abzug. Der Mann nickte, dann lehnte er sich sogar noch weiter vor und biß mit aufblitzenden Zähnen auf das Ende des Laufs. »Drück ab!« brüllte er.
Mark schloß die Augen und preßte die Handflächen gegen den Kolben der Waffe. Er hielt den Atem an und war im Begriff, auf den Abzug zu drücken, als der Mann ihm die Waffe entriß. Er schwenkte sie wie ein Irrer vor Marks Gesicht und drückte ab. Mark schrie, als das Fenster hinter seinem Kopf in tausend Stücke zersplitterte, aber nicht in Scherben ging. »Sie funktioniert! Sie funktioniert!« brüllte er, als Mark sich duckte und sich die Ohren zuhielt.
Ricky vergrub das Gesicht im Gras, als er den Schuß hörte. Er war drei Meter von dem Wagen entfernt, als etwas knallte und Mark schrie. Der dicke Mann brüllte, und Ricky machte sich abermals in die Hose. Er schloß die Augen und krallte sich im Gras fest. Sein Magen verkrampfte sich, und sein Herz hämmerte, und nach dem Schuß rührte er sich eine Minute lang nicht von der Stelle. Er weinte um seinen Bruder, der jetzt tot war, erschossen von einem Verrückten.
»Hör auf zu heulen, verdammt nochmal! Ich habe deine Heulerei satt!«
Mark umklammerte seine Knie und versuchte, mit dem Weinen aufzuhören. Sein Kopf pochte, und sein Mund war trocken. Er klemmte die Hände zwischen die Knie und beugte sich vornüber. Er mußte mit dem Weinen aufhören und sich etwas ausdenken. In einem Fernsehfilm war einmal ein Spinner im Begriff gewesen, von einem Gebäude herunterzuspringen, und dieser coole Bulle hatte auf ihn eingeredet, einfach pausenlos auf ihn eingeredet, und schließlich hatte der Spinner geantwortet und war natürlich nicht gesprungen. Mark schnupperte schnell nach Gas, dann fragte er: »Warum tun Sie das?«
»Weil ich sterben will«, sagte der Mann ganz ruhig.
»Warum?« fragte er noch einmal und betrachtete das säuberliche kleine Loch in der Scheibe.
»Warum stellen kleine Jungen so viele Fragen?«
»Weil sie kleine Jungen sind. Weshalb wollen Sie sterben?«
»In fünf Minuten sind wir tot. Nur du und ich, Junge, ab zum großen Zauberer.« Er tat einen langen Zug aus der Flasche, die jetzt fast leer war. »Ich spüre das Gas, Junge. Spürst du es auch? Endlich.«
Durch die Risse im Fenster sah Mark im Außenspiegel, daß sich das Gras bewegte, und erhaschte einen Blick auf Ricky, wie er durch das Unkraut robbte und in dem Gestrüpp in der Nähe des Baums in Deckung ging. Er schloß die Augen und betete.
»Eins muß ich dir sagen, Junge, es ist hübsch, dich hier zu haben. Niemand stirbt gern allein. Wie heißt du?«
»Mark.«
»Mark. Und weiter?«
»Mark Sway.« Immer weiterreden, dann springt der Spinner vielleicht nicht. »Und wie heißen Sie?«
»Jerome. Aber du kannst Romey zu mir sagen. So nennen mich meine Freunde, und weil wir beide jetzt im selben Boot sitzen, darfst du mich Romey nennen. Und keine weiteren Fragen, okay, Junge?«
»Warum wollen Sie sterben, Romey?«
»Ich habe doch gesagt, keine weiteren Fragen. Spürst du das Gas, Mark?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du wirst es bald genug spüren. Sprich lieber deine Gebete.« Romey ließ sich in seinen Sitz sinken, lehnte den fleischigen Kopf zurück und schloß die Augen, völlig mit sich im reinen. »Wir haben noch ungefähr fünf Minuten, Mark. Irgendwelche letzten Worte?« In der rechten Hand hielt er die Whiskeyflasche, in der linken die Pistole.
»Ja. Warum tun Sie das?« fragte Mark und hielt im Spiegel Ausschau nach seinem Bruder. Er atmete kurz und schnell durch die Nase und roch und spürte nicht das
Weitere Kostenlose Bücher