Der Klient
achtunddreißig Untergebene wühlten sich durch die Mühsal, den Papierkram, die langweiligen Recherchen und die ermüdende Beachtung geistloser Details, alle in dem Bestreben, die juristischen Interessen von Roys Mandanten, den Vereinigten Staaten von Amerika, wahrzunehmen.
Das größte Büro gehörte natürlich Foltrigg, und es war üppig ausgestattet mit schwerem Holz und dickem Leder. Während die meisten Anwälte sich nur eine Ego-Wand zugestehen, mit Fotos und Plaketten und Auszeichnungen und Mitgliedsurkunden vom Rotary Club, hatte Roy nicht weniger als drei Wände seines Büros mit gerahmten Fotos und vorgedruckten gelben Diplomen gefüllt, die ihm die Teilnahme an rund hundert juristischen Konferenzen bescheinigten. Er warf sein Jackett auf das burgunderrote Ledersofa und machte sich dann sofort auf den Weg in die Hauptbibliothek, wo ihn eine Versammlung erwartete.
Während der fünfstündigen Fahrt von Memphis hatte er sechsmal angerufen und drei Faxe geschickt. Sechs Assistenten warteten um einen zehn Meter langen eichenen Konferenztisch herum, der mit aufgeschlagenen juristischen Werken und zahllosen Notizblöcken bedeckt war. Sämtliche Jacketts waren abgelegt und alle Hemdsärmel aufgekrempelt.
Er begrüßte die Gruppe kurz und ließ sich dann auf einem Stuhl an der Mitte des Tisches nieder. Vor jedem lag eine Zusammenfassung all dessen, was das FBI in Memphis herausgefunden hatte. Der Abschiedsbrief, die Fingerabdrücke, die Waffe, alles. Foltrigg oder Fink konnten ihnen nichts Neues berichten, abgesehen davon, daß Gronke in Memphis war, und das war für diese Gruppe belanglos.
»Was haben Sie, Bobby?« fragte Foltrigg dramatisch, als hinge die Zukunft des amerikanischen Rechtswesens von Bobby ab und dem, was seine Recherchen ergeben hatten. Bobby war der Rangälteste der Assistenten, ein Mann mit zweiunddreißig Amtsjahren, der Gerichtssäle haßte, aber Bibliotheken liebte. In Krisenzeiten, wenn knifflige Fragen beantwortet werden mußten, wendeten sich alle an Bobby.
Er rieb sich das dichte, graue Haar und rückte seine schwarze Brille zurecht. Noch sechs Monate bis zur Pensionierung, dann hatte er Leute wie Roy Foltrigg hinter sich. Er hatte ein Dutzend von ihnen kommen und gehen sehen, und von den meisten hatte man nie wieder etwas gehört. »Nun, ich glaube, wir haben das Problem eingeengt«, sagte er, und die meisten von ihnen lächelten. Er begann jeden Bericht mit dieser Einleitung. Für Bobby waren juristische Recherchen ein Spiel, bei dem es darum ging, den Haufen Schutt beiseitezuräumen, der selbst auf den simpelsten Problemen lag, und das ins Zentrum zu rücken, was von Richtern und Geschworenen leicht zu erfassen ist. Wenn Bobby die Recherchen leitete, wurde alles eingeengt.
»Es gibt zwei Möglichkeiten, keine von ihnen sonderlich attraktiv, aber eine oder beide könnten funktionieren. Erstens schlage ich vor, daß wir an das Jugendgericht in Memphis herantreten. Unter dem Tennessee Youth Code kann beim Jugendgericht wegen bestimmter Vergehen Minderjähriger eine Eingabe gemacht werden. Es gibt verschiedene Kategorien von Vergehen, und in der Eingabe muß das Kind entweder als Straftäter oder als überwachungsbedürftig klassifiziert werden. Es findet eine Anhörung statt, der Richter am Jugendgericht läßt sich das Beweismaterial vorlegen und entscheidet dann, was mit dem Kind geschehen soll. Bei mißbrauchten oder vernachlässigten Kindern kann ebenso verfahren werden. Dieselbe Vorgehensweise, dasselbe Gericht.«
»Wer kann die Eingabe machen?« fragte Foltrigg.
»Nun, das Statut ist sehr weit gefaßt, und das ist meiner Meinung nach ein schwerer Makel in der Gesetzgebung. Aber es heißt dort eindeutig, daß eine Eingabe, ich zitiere, ›von jeder interessierten Partei‹ gemacht werden kann.«
»Könnten das wir sein?«
»Vielleicht. Es hängt davon ab, was wir in der Eingabe behaupten. Und das ist der knifflige Punkt – wir müssen behaupten, der Junge hätte etwas Unrechtes getan und auf irgendeine Weise gegen das Gesetz verstoßen. Und der einzige Verstoß, der ganz entfernt etwas mit dem Verhalten des Jungen zu tun hat, ist natürlich Behinderung der Justiz. Also müssen wir Dinge behaupten, deren wir uns keineswegs sicher sind, zum Beispiel, daß der Junge weiß, wo sich die Leiche befindet. Das könnte riskant sein, weil wir keine Gewißheit haben.«
»Der Junge weiß, wo sich die Leiche befindet«, erklärte Foltrigg rundheraus. Fink studierte einige Notizen und
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