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Der Knochendieb

Der Knochendieb

Titel: Der Knochendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas O'Callaghan
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müssen. Doch zwei Jahre später würden sich nur noch die Menschen, die ihn gut gekannt hatten, an
seinen Namen erinnern. Thomlinson würde ihn nie vergessen, ebenso wie er die Schießerei und die wahren Umstände darum herum nie vergessen würde. Denn Thomlinsons Trinkexzesse waren mitschuldig am Tod eines Kollegen gewesen. Noch dazu am Tod seines Partners.
    Für seine Beteiligung an dem Einsatz bekam Thomlinson die zweithöchste Auszeichnung des NYPD verliehen, das Combat Cross. Anschließend versetzte man ihn in die Eliteabteilung der Mordkommission, die Lieutenant John Driscoll leitete. Es war der Traumjob eines jeden Detective.
    Doch die Streifenpolizisten glaubten etwas, das der Wahrheit näher kam. Jedes Mal wenn er zu einer Gruppe von ihnen stieß, brach das Gespräch abrupt ab. Missbilligende Blicke verfolgten ihn. Er wusste, was man über ihn redete, sowie er den Raum verließ. Sein Partner war erschossen worden, während er seine Waffe nicht einmal gezogen hatte. Das war gleichbedeutend damit, unfähig oder feige zu sein, beides Eigenschaften, die ein Cop niemals haben durfte. Egal wo er im NYPD auftauchte, er war überall als der Cop bekannt, der nicht einmal die Waffe gezogen hatte.
    Danach trank er noch hemmungsloser als zuvor, aber da er sich in den von Polizisten frequentierten Lokalen nicht mehr blicken lassen konnte, gewöhnte er sich an, allein zu trinken. Nicht selten wachte er morgens am Küchentisch auf, vor sich eine leere Flasche und eine geladene Neun-Millimeter-Pistole, die ihm ins Gesicht starrte.
    Er begann, seine Arbeit zu vernachlässigen, und versäumte des Öfteren seine erste oder letzte Dienststunde, weil er zu betrunken war. Im Dienst erfand er immer
wieder Ausreden, um zu seinem Wagen gehen zu können, wo er seinen Vorrat aufbewahrte: eine Flasche Jamaika-Rum. Gelegentlich verschwand er einfach stundenlang, und wenn er zurückkehrte, hatte er Pfefferminzbonbons oder Kaugummi im Mund.
    Driscoll war nicht auf den Kopf gefallen, und nach ein paar Wochen tat er den schwersten Schritt, den ein leitender Police Officer tun kann. Er bat den zuständigen Vertreter der Polizeigewerkschaft zu sich und ließ Thomlinson in die »Farm« einweisen. Driscoll wusste, dass er Thomlinsons Karriere zerstörte, doch er hoffte, ihm das Leben retten zu können.
    Die so genannte Farm war ein altes Sanatorium, das so versteckt in Delaware County lag, dass der nächste Ort fünfundzwanzig Meilen weit entfernt war.
    Thomlinson musste Waffe und Dienstmarke abgeben und wurde aufs Land expediert. Man ließ ihm die Wahl: Entweder er machte das Therapieprogramm mit, oder er wurde entlassen. Andere Alternativen gab es nicht. Das von einer Gruppe staatlich geprüfter Alkohol- und Drogentherapeuten geleitete Programm bestand aus sechs Wochen Alkoholentzug, zu dem regelmäßige Einzel-Therapiesitzungen ebenso gehörten wie Gruppensitzungen mit trockenen und akut alkoholkranken Kollegen. Dazwischen wurden religiöse Begegnungen angeboten. Jeden Abend um acht begann die Bettruhe, die Lichter wurden gelöscht, und vor jeder Tür standen Wachleute.
    Hatte man dieses Programm absolviert, wurde man ohne Dienstmarke und Waffe in seine Abteilung zurückgeholt und musste die Selbsthilfegruppe von Father O’Connor besuchen. Wenn einen der Polizeipsychologe nach Ablauf eines Jahres für geheilt erachtete, kehrte
man in den aktiven Dienst zurück. Man erhielt Waffe und Dienstmarke zurück, und angeblich tauchte in der Personalakte nie etwas über die Angelegenheit auf. Natürlich wussten alle Bescheid. In dieser Abteilung gab es so gut wie keine Geheimnisse.
    Es war neunundzwanzig Monate her, dass Thomlinson die Farm verlassen hatte. Mittlerweile war er seit 868 Tagen trocken. Er hatte Waffe und Dienstmarke zurückerhalten und würde seinem Vorgesetzten und wahren Freund Lieutenant John W. Driscoll ewig dankbar sein.
     
    »Cedric, möchten Sie uns heute Abend irgendetwas mitteilen?« Father O’Connors Frage riss Thomlinson in die Gegenwart zurück.
    Thomlinson stand auf und wiederholte seinen altbekannten Sermon darüber, wie er zu trinken begonnen hatte, weil sein Partner vor seinen Augen erschossen worden war. Er wusste, dass es eine Lüge war, der Priester wusste, dass es eine Lüge war, und alle anderen im Raum wussten ebenfalls, dass es eine Lüge war. Doch niemand stellte ihn zur Rede, und so setzte er sich wieder.
    Als sich die Sitzung dem Ende näherte, klingelte Thomlinsons Mobiltelefon. Er ging hinaus, um das

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