Der Knochendieb
fallen und schlug sich in Gedanken mit dem Verlust seiner letzten Beute herum. Die Freude an Sarah Benjamin hatte den Schmerz darüber, dass ihm das junge Mädchen im Einkaufszentrum entwischt war, nicht lindern können.
Doch wartete unter dem Haus Linderung auf ihn. In der Hoffnung, bei seinen Trophäen Trost zu finden, stieg er in den Keller hinunter. Während sich seine Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnten, hörte er die Stimme seiner Mutter. »Das junge Gemüse ist dir im Einkaufszentrum durch die Lappen gegangen, was? Und jetzt ist dir so ein anderes Füllen auf den Fersen. Sogar ein Füllen, das sich mit Computern auskennt. Du Cyber-Monster, du. Kannst du eigentlich überhaupt nichts richtig machen?«
»Und was willst du jetzt tun?«, nörgelte sein Vater.
»Du hast dir alles versaut«, schimpfte seine Mutter. »Bald wird dir die Polizei die Hölle heißmachen.«
»Aber ich werde einen Weg finden, um ihnen die Hölle heißzumachen!«, brüllte er. »Und jetzt haltet den Mund, alle beide!«
Im Keller kehrte wieder Ruhe ein. Er suchte die skelettierten Kiefer seiner Eltern nach Anzeichen von Bewegung ab, doch sie regten sich nicht.
54. KAPITEL
Nachdem er einen jungen Patienten untersucht hatte, der infolge eines Autounfalls fast gelähmt geblieben wäre, griff Dr. Colm Pierce nach der nächsten Patientenakte aus dem Stapel auf seinem Tisch. Sie gehörte zu einer gerontologischen Patientin, einer achtzigjährigen Frau mit einer Steißbeinverletzung. Die arme Seele tat Colm leid. Sie hatte keine Angehörigen und fand fast ihren einzigen Halt in der ihr von der Stadt zugewiesenen Sozialarbeiterin. Es zauberte stets ein Lächeln auf das Gesicht der Frau, dass Colm darauf bestand, sie jedes Mal persönlich aus dem Wartezimmer in sein Sprechzimmer zu geleiten.
In heiterer Stimmung trat er hinaus und ging den engen Flur entlang. Der Krankenhauslautsprecher knisterte. »Trauma-Team, bitte zur pädiatrischen Intensivstation!« Man hörte hektische Schritte. Ein Mitglied des Trauma-Teams rannte an ihm vorbei auf die Aufzüge zu. Es war Dr. Stephen Astin.
»Steve, ich muss mit dir reden«, rief Pierce.
»Jetzt nicht, Colm. Ich muss zu einem Notfall.« Astin betrat den Aufzug und schlug auf den Knopf mit der Ziffer Sechs.
Kurz bevor sich die Aufzugtüren schlossen, drängte sich Pierce in die Kabine. »Muss ich dich daran erinnern, dass du mir neunzehn Riesen schuldest?«, herrschte er Astin an.
»Als würdest du mich das je vergessen lassen.«
»Deine dritte Rate war vor einem Monat fällig. Warum hast du nicht auf meine E-Mail geantwortet?«
»Night Rider läuft morgen Abend in Belmont. Fünftausend von unseren Dollars laufen mit ihm. Es ist eine sichere Sache. Wie Geld auf der Bank.«
»Das hast du letztes Mal auch gesagt.«
»Komm schon, Mann, du brauchst das Geld doch nicht. Wozu rückst du mir derart auf den Pelz?«
»Ob ich das Geld brauche oder nicht, geht dich einen feuchten Kehricht an. Es war ein Darlehen. Keine milde Gabe.«
»Komm mir nicht mit dem Scheiß.«
»Was für ein Scheiß? Ich hab’s getan, um dir zu helfen.«
»Nein, hast du nicht. Du hast es getan, um mich leiden zu sehen. Und damit du mich in der Hand hast. Gib’s zu.«
Die Aufzugtüren gingen auf und entließen die beiden streitenden Männer in die Kinder-Intensivstation, wo sie von Dr. George Galina und der Intensivschwester Susan Dupree empfangen wurden.
»Es geht um die kleine Parsons«, erklärte Schwester Dupree. »Völlig unbegreiflich. Sie ist aufgewacht und schreit sich die Seele aus dem Leib. Eigentlich müsste ihre durchlöcherte Lunge völlig unbrauchbar sein, aber nein.«
»Was hat sie denn gesagt?«, erkundigte sich Astin.
»Ich habe kein Wort verstanden.«
Das Trauma-Team machte sich bereit, und binnen Sekunden wurde Clarissa punktiert und bekam eine Spritze gesetzt, worauf die Monitore, an die sie angeschlossen war, verrücktspielten.
»Sie stirbt!«, brüllte Dr. Galina.
Astin schnappte sich zwei Defibrillator-Paddel. »Los
jetzt!«, schrie er und sandte einen Stromstoß zum Herzen des jungen Mädchens, nachdem Susan Dupree ihr den Brustkorb freigemacht hatte.
Clarissas Körper bäumte sich auf, und ihre Brustmuskeln verspannten sich, als die Stromstöße durch ihr Nervensystem rasten. Bänder zogen sich zusammen und lockerten sich wieder. Ihr Herz verkrampfte sich, flatterte und begann schließlich, wieder zu schlagen und Blut an die lebenswichtigen Arterien zu senden.
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