Der Knochendieb
Tropf aus Dopamin HC1 und Titrat. Schnell!«, ordnete Galina an. »Und eine Dosis Epinephrin. Sofort!«
Die Nadel drang in die Mulde zwischen Clarissas Brüsten ein, durchbohrte ihre Herzmuskeln und brachte das Stimulans an Ort und Stelle, wo es ihr Herz schneller schlagen ließ.
Sobald frisch mit Sauerstoff angereichertes Blut in Clarissas Gehirn gelangte, kehrte es aus seiner Erstarrung zurück. Ihre Lider flatterten, ehe sie sich öffneten. Ihr Gehör nahm dumpfe Geräusche wahr.
Was geschah mit ihr? Wer waren diese maskierten Männer? Sie fühlte sich wie ein Stück Aas, an dem hungrige Schnäbel zerrten. Tränen traten ihr in die Augen und verschleierten ihr Gesichtsfeld.
Auf einmal kam das Gesicht des Mannes in Sicht, der sie belästigt hatte. Mit ihm kam die Erinnerung an seine lüsterne Zudringlichkeit. Die unangenehmen Bilder erfüllten das Mädchen mit Angst, die sich zu heftigem Grauen steigerte. Blitzartig schlug ihre Furcht in Panik um und löste einen kompletten Herzstillstand aus.
»Sie stirbt uns weg!«, schrie Dr. Galina.
»Los!«, bellte Astin, ehe er erneut nach den Defibrillator-Paddeln
griff und sie gegen die Brust des Mädchens drückte.
Zweihundert Joule jagten durch Clarissa, worauf sich ihr schmaler Leib aufbäumte. Wehrlos erduldete ihr Körper einen weiteren Stromstoß und dann noch einen und noch einen.
»Mein Gott, sie ist uns unter den Händen weggestorben«, seufzte Dr. Astin.
»Was zum Teufel ist da schiefgelaufen?«, schimpfte Pierce, während er insgeheim hoffte, dass sie nicht durch ein Wunder wieder zu Bewusstsein kam.
»Manchmal hat Gott andere Pläne.«
»Aber nicht, wenn ich dabei bin.« Pierce griff nach den Defibrillator-Paddeln und traktierte die Brust des Mädchens wieder und wieder damit.
Clarissas Körper erbebte unter den Attacken, jedoch nur, um in die Reglosigkeit des Todes zurückzufallen.
»Doktor, sie ist tot«, schrie Schwester Dupree.
»Haben Sie denn jeglichen Glauben verloren?«, fauchte Pierce und wollte schon die nächste Attacke starten, als ihn Astin am Arm packte.
»Es reicht!«
Pierce setzte einen Blick vorgetäuschter Resignation auf, ließ die Hände seitlich herunterfallen und starrte auf den leblosen Leib des Mädchens hinab.
»Diese jungen Leute heutzutage. Manche wollen sich einfach nicht retten lassen.«
55. KAPITEL
»INTER-NET«
So lautete die Schlagzeile, die auf der Morgenausgabe der New York Post prangte. Der Artikel selbst, der sich über zwei Seiten erstreckte, sprach davon, dass der geisteskranke Killer, der die Stadt in Angst und Schrecken versetzte, seine Opfer über das Internet köderte. Die Post nannte den Ermittlungsorganen nahestehende Informanten als Quellen. Der Artikel hatte einen erwähnenswerten Anruf beim Hinweistelefon zur Folge. Er kam von einer gewissen Cathy Spenser, die angab, an dem Tag mit Clarissa Parsons zusammen gewesen zu sein, als diese im Einkaufszentrum Kings Plaza überfahren worden war. Sie sagte, Clarissa sei in dem Einkaufszentrum gewesen, um sich mit jemandem zu treffen, zu dem sie per Inter net Kontakt aufgenommen hatte. Margaret sollte sich mit dem jungen Mädchen unterhalten.
Hinter dem Steuer ihres Plymouth begab sich Margaret auf den Weg über die Brooklyn Bridge und gewährte Howard Stern genau drei Minuten, ehe ihr sein Schandmaul unerträglich wurde. Sie drehte am Sendersuchlauf und wünschte sich ein angenehmes Programm, vorzugsweise mit Hits aus den Vierzigerjahren.
Die Stimme von Paul Waters, dem Nachrichtensprecher von WNYB, schreckte sie auf. »Heute ist ein sehr trauriger Tag für Bezirksstaatsanwalt Jack Parsons und seine Frau, denn sie müssen ihre einzige Tochter im Familiengrab auf dem Pinelawn-Friedhof auf Long Island zur letzten Ruhe betten. Erst vor knapp acht Wochen
hat Jack Parsons einen strahlenden Sieg über Donald Fruman aus Brooklyn errungen und das begehrte Amt des Bezirksstaatsanwalts von Manhattan für sich gewinnen können. Ungenannt bleiben wollende Quellen haben uns mitgeteilt, dass umfassende Ermittlungen hinsichtlich der Umstände des Todes des jungen Mädchens aufgenommen wurden. Wir sind gleich wieder da … Brauchen Sie Waffen? Oder Munition? Wir haben eine große Auswahl an beidem. Kommen Sie zu Al’s Sporting Goods an der Route 25 in East Islip. Bei uns finden Sie …«
Margaret schaltete das Radio entnervt aus und kämpfte sich weiter durch den Stoßverkehr auf der Flatbush Avenue. Der Tacho des Plymouth zeigte fünfzehn Meilen pro Stunde an.
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