Der Knochendieb
Intensivstation mit einem Defibrillator zu hantieren? Überdies hatte Margaret gesagt, dass alle drei Ärzte an der Seite des Mädchens gewesen seien, als sie einen schweren Herzinfarkt erlitt und trotz der massiven Reanimierungsmaßnahmen daran starb. War der Herzstillstand eine Folge der Verletzungen gewesen, die sie erlitten hatte? Keiner der Ärzte glaubte das. Auch die Obduktion ergab nichts Entsprechendes. Also warum das Herzversagen? Und was war mit dem Austausch, den sie übers Internet mit Godsend unterhalten hatte? Wie hing das alles zusammen?
Driscoll war eingedöst, während der auf New York 1, einen reinen Nachrichtenkanal, eingestellte Fernseher weiterlief. Er riss die Augen auf, als der Moderator eine schockierende Nachricht verlas. »Heute Morgen um vier Uhr zweiunddreißig meldeten Sicherheitsbeamte des Pinelawn-Friedhofs, dass ein Grabmal geschändet und
eine dort in einer Grabkammer aus weißem Marmor bestattete Tote verstümmelt worden ist. Die schlimm zugerichtete Leiche wurde als Clarissa Parsons identifiziert, die Tochter von Jack Parsons, dem Bezirksstaatsanwalt von Manhattan …«
Das Telefon klingelte. Driscoll meldete sich. Der Bezirksstaatsanwalt brüllte ihm ins Ohr.
»Herrgott noch mal, John. Wozu bezahle ich Sie eigentlich, wenn Sie nicht einmal die Toten schützen können?«
Ein Piepsen unterbrach die verbale Attacke.
»Jack, bei mir ist ein zweiter Anruf in der Leitung. Das ist bestimmt jemand vom Revier. Ich muss Sie auf Warteschleife legen.«
»Glauben Sie bloß nicht …«
Driscoll schnitt Parsons das Wort ab und drückte die »Annehmen«-Taste. Thomlinson redete ohne Umschweife los.
»Dieses Schwein hat Clarissas Leiche verstümmelt, und jetzt ist Parsons auf dem Kriegspfad. Er hat mich total zur Schnecke gemacht und mich einen unfähigen Säufer genannt. Er meinte, ich sei schuld daran. Und jetzt will er Ihnen auf den Pelz rücken. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen, aber machen Sie sich auf etwas gefasst. Er schäumt regelrecht vor Wut.«
»Ich weiß. Er tobt gerade bei mir in der Warteschleife.«
»Aber das ist noch nicht alles: Diese miese Ratte hat Moira! Wir haben gerade eine Nachricht per E-Mail bekommen.«
»Lesen Sie vor!«
Zenturios in Blau,
Heil Euch, die Ihr Euch der undankbaren Aufgabe widmet, uns niedrige Dämonen zu fassen. Euer süßes Lämmchen befindet sich nun in der Höhle des Löwen. Ich fiebere der bevorstehenden Orgie schon entgegen. So frisches Fleisch, das nach Raubtierzähnen lechzt. So makellose Haut, die schon bald von bestialischen Klauen zerfetzt werden wird. So zarte Knochen, umhüllt von saftigem Fleisch. Moira heißt die Kleine.
Adieu
64. KAPITEL
Als Moira zu sich kam, waren ihre Hände und Füße an einen hölzernen Stuhl genagelt. Die geringste Bewegung verursachte unbeschreibliche Qualen. Nur völliges Stillhalten hielt den Schmerz einigermaßen im Zaum. Die Nägel hatten Knorpel und Sehnen durchtrennt, Muskelgewebe zerfetzt und Knochen zermalmt. Schon lange hatte sie aufgehört zu schreien. Nun drang kein Laut mehr aus ihrem Mund, der inzwischen mit Isolierband verklebt war. Aus ihren Augen rannen keine Tränen, da die Lider mit mehreren Tropfen Sekundenkleber versiegelt waren.
»Ich wusste, dass du kommen würdest«, dröhnte die Stimme. »Daran habe ich nie gezweifelt. Neugier ist ein so anregendes Elixier, findest du nicht? Außerdem wusste ich, dass du naiv bist. Erstaunlich, wie diese beiden Charakterzüge so trefflich zusammen in einer Seele wohnen können.«
Seine Stimme klang gebildet, was Moira befremdete.
Jemand verrückte etwas, das sich wie ein Metallstuhl anhörte. Moira vermutete, dass ihr Folterer auf dem Stuhl die Position gewechselt hatte.
»Ich wusste, dass du jung bist. Nur ein jugendlicher Geist würde seine wertvollen Ressourcen darauf verschwenden, einen Dämon wie mich fassen zu wollen. Das kommt daher, dass junge Leute an den Satan und seine Gehilfen und die Macht des Zauberstabs glauben. Das ist nämlich mein Reich, meine Liebe. Mein Element. Komisch, aber ich wusste irgendwie, dass früher oder später eine Heldin mit kleinen Füßen und einem BH mit Körbchengröße A, die gerade ihre erste Menstruation bekommen hat, in meine Höhle getappt käme. Ja, Neugier ist ein schreckliches und doch göttliches Gut, findest du nicht? Ich ahnte schon, dass du es bist, als du auf die Detectives zugegangen bist. Ich habe mich in sicherer Distanz gehalten und jede deiner Bewegungen durch meinen Feldstecher
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