Der Knochendieb
nicht die einzigen Verrückten in Wellmore. An Ihrer Stelle würde ich mich von dort fernhalten.«
»Ich nehme Ihre Bedenken zur Kenntnis.«
79. KAPITEL
Wellmore wirkte auf Driscoll eher wie ein Golfhotel als wie eine psychiatrische Klinik. Ein Wachmann begleitete ihn in die Verwaltung, wo ihn ein lässig mit Jeans und Hawaiihemd bekleideter Mann begrüßte, dem eine blonde Haarmähne bis auf die Schultern fiel.
»Sind Sie Courtneys Vater?«, erkundigte sich der Mann.
»Nein.«
»Komisch. Sie sehen genauso aus wie Courtney.«
Die Tür ging auf, und eine fröhliche Frau, die einen Computermonitor auf einem fahrbaren Beistelltisch vor sich herschob, kam herein.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich bin Lieutenant Driscoll.«
»Ah ja, aus New York. Ich bin Sarah Abbott. Gunther Etteridge haben Sie ja offenbar schon kennen gelernt. Er ist einer unserer Patienten.«
»Warum lesen Sie ihm nicht gleich meine ganze Akte vor, wenn Sie ihm schon alles über mich erzählen?«, maulte Etteridge.
»Entschuldigung«, sagte Mrs. Abbott. »Ich hole Mr. Lazarus, Lieutenant.«
Der Verwaltungschef der Einrichtung hatte einen massigen, kahlen Schädel und einen preußischen Schnurrbart. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte er.
»Ich habe ein paar Fragen über einen Ihrer früheren Patienten, einen gewissen Colm Pierce.«
»Ah! Der junge Colm, unser Starabsolvent.«
»Ich würde gern seine Unterlagen einsehen.«
Die beiden Männer musterten einander. »Lieutenant, würden Sie mir verraten, weshalb Sie an dem jungen Colm interessiert sind?«
»Wir untersuchen einen Todesfall an seiner Klinik.«
»Kunstfehler sind Sache der Versicherungen.«
»Wenn es um die Tochter eines hohen städtischen Beamten geht, zieht so etwas aber weitere Kreise. Ich hatte gehofft, ich könnte auf Ihre Mithilfe zählen.«
»Wie stellen Sie sich das vor?«
»Ich würde mir gern die Einrichtung ansehen und Colms Unterlagen durchlesen.«
»Kommt nicht infrage.« Lazarus verschränkte die Arme. »Sie wissen sicher, dass Ärzte gegenüber ihren Patienten eine Schweigepflicht haben.«
»Was haben Sie denn zu verbergen?«
Driscoll war der Mann auf Anhieb unsympathisch gewesen, und seine Sturheit machte es nicht besser. Hielt Lazarus absichtlich Informationen zurück, die Licht in die Ermittlungen hätten bringen können? Das wäre an
sich schon eine Straftat. Oder war der Mann einfach auf Konfrontationskurs? Womöglich getrieben von einem aufgeblasenen Ego?
»Gebrochene Persönlichkeiten und zerstörte Seelen leben hinter diesen Mauern, Lieutenant. Menschen, die von der Welt verletzt wurden, aus der Sie kommen.«
»Ich führe lediglich Routine-Ermittlungen durch.«
»Also, wenn Sie den ganzen Weg von New York hierher gefahren sind, um ein psychologisches Profil des jungen Colm zu ergattern, dann hoffe ich, Sie haben die landschaftlich schönere Route genommen.«
»Wollen Sie mir damit sagen, dass ich die entsprechenden Unterlagen nicht zu sehen bekomme?«
»Sie kennen doch die Regeln. Wir Psychiater sind wie Priester, wir legen ein Schweigegelübde ab. Nur eine richterliche Anordnung kann diese Unterlagen offenlegen.«
»Es wäre mir wirklich unangenehm, wenn ich den politischen Weg einschlagen müsste«, konterte Driscoll, als ihm klar wurde, dass er für eine richterliche Anordnung keine Handhabe besaß.
Lazarus reagierte mit einem Grinsen, als wüsste er, dass der andere nur bluffte. »Einen schönen Tag noch, Lieutenant«, sagte er, ehe er sich umdrehte und hinausging.
80. KAPITEL
Driscoll hatte mit einem solchen Ausgang gerechnet, jedoch hatte ihn das Gespräch mit Lazarus in seinen Vermutungen hinsichtlich des Geisteszustands von Dr. Pierce bestärkt.
Er schlenderte über das Gelände des herrschaftlichen Anwesens, das seine Antworten hinter dicken Mauern verbarg. Ein kurvenreicher Weg führte zu einem winzigen, von Seerosen überwachsenen Teich. Es war ein bezaubernder Ort, fast wie ein lebendig gewordenes Monet-Gemälde, und so setzte er sich auf eine Bank, um den Anblick zu genießen. Plötzlich spürte er jemanden hinter sich. Als er sich umwandte, sah er, dass es Gunther Etteridge war.
»Früher bin ich immer mit Colm hergekommen«, sagte Etteridge. »Wussten Sie, dass sich Libellen im Lauf ihres Lebens fünfmal häuten müssen, weil sie sonst sterben?«
Der Mann wirkte harmlos und etwas dümmlich. Sein schmallippiges Lächeln verbarg die schiefen Zähne. Driscoll schätzte, dass Etteridge etwa im selben Alter war wie
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