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Der Knochenjäger

Titel: Der Knochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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für sie kein Entrinnen. Viele starben an Ort und Stelle, zahlreiche andere, die bereits in hellen Flammen standen, stürzten sich blindlings aus dem Fenster auf das dreißig Meter tiefer gelegene Kopfsteinpflaster, wo sie bald darauf ihr Leben aushauchten.
    Das Brandunglück bei Triangle Shirtwaist, wie sich die Firma seinerzeit nannte, forderte insgesamt 146 Todesopfer. Eines der Opfer jedoch, eine junge Frau namens Esther Weinraub, die mehrere Zeugen voller Verzweiflung aus einem Fenster im siebenten Stock hatten springen sehen, konnte sehr zur Verwirrung der Polizei nirgendwo aufgefunden werden. Keines der anderen Mädchen, die wie sie aus dem Fenster gesprungen waren, hatte den Sturz überlebt. Sollte sie wie durch ein Wunder heil davongekommen sein? Denn Miss Weinraub befand sich nicht unter den Toten, deren Leichen man auf die Straße bettete, auf daß sie von ihren Anverwandten identifiziert wurden.
    Kurz darauf gingen Gerüchte über einen angeblichen Leichendieb um, einen Mann, der dabei beobachtet worden war, wie er sich mit einer schweren Last vom Brandort entfernte. Die Konstabler, erzürnt ob der schieren Vorstellung, daß sich jemand an den sterblichen Überresten einer unschuldigen jungen Frau vergangen haben könnte, fahndeten in aller Stille nach dem Mann.
    Nach mehreren Wochen zeitigte ihr Fleiß erste Erfolge. Zwei im Greenwich Village wohnende Bürger berichteten, daß sie einen Mann gesehen hätten, der sich mit einer schweren Last, »wie eine Art Teppich«, auf der Schulter vom Brandort entfernt habe. Die Konstabler nahmen die Spur auf und verfolgten sie bis zur West Side der Stadt. Dort befragten sie zahlreiche Anwohner und Nachbarn und erfuhren schließlich, daß es sich bei dem Mann, auf den die Beschreibung zutraf, um James Schneider handelte, der noch immer in Freiheit war.
    Bei den weiteren Nachforschungen stieß man schließlich auf eine baufällige Behausung an einer schmalen Seitengasse in Hell's Kitchen, unweit der Viehhöfe an der sechzigsten Straße gelegen. Als die Ordnungshüter durch die Gasse vorrückten, schlug ihnen ein widerwärtiger Gestank entgegen...
    Er fuhr jetzt genau an der Stelle vorbei, wo sich der berühmtberüchtigte Triangle-Brand ereignet hatte - vielleicht hatte es ihn sogar unbewußt hierher gezogen. Das Ash Building - welch passender Name für das Gebäude, das einst diese unselige Näherei beherbergt hatte - gab es nicht mehr. An seiner Stelle stand jetzt ein Trakt der New York University. Damals und heute ... Der Knochensammler hätte sich nicht gewundert, wenn er plötzlich Mädchen in den typischen weißen Arbeitsblusen gesehen hätte, die sich rauchend und funkenstiebend aus dem Fenster stürzten und dem Tod entgegentaumelten wie Schneeflocken.
    Als die Ordnungshüter in Schneiders Behausung eindrangen, bot sich ihnen ein Anblick, der selbst die Erfahrensten unter ihnen mit Entsetzen erfüllte. In einem Kellerraum fand man den Leichnam der armen Esther Weinraub - beziehungsweise das, was davon übriggeblieben war. Schneider war gerade im Begriff das Werk zu vollenden, welches das entsetzliche Feuer begonnen hatte. Mittels einer Methode, die zu grausig ist, als daß hier näher darauf eingegangen werden könnte, versuchte er das Fleisch der armen Frau abzuschälen.
    Bei der Durchsuchung dieser Stätte des Grauens stieß man auf eine Geheimkammer im Keller, die voller Knochen war, allesamt von jeglichen Fleischresten gesäubert.
    Unter Schneiders Bett fand ein Konstabler ein Tagebuch, in dem der Wahnsinnige all seine Übeltaten verzeichnet hatte. »Gebeine« -so hatte Schneider geschrieben - »sind der Inbegriff des menschlichen Daseins. Sie altern nicht, verändern sich nicht, trügen nicht. Wenn wir einmal den Makel des vergänglichen Fleisches hinter uns gelassen haben, wenn jegliche Rassen- und Geschlechtszugehörigkeit in Feuer und kochendem Dampf vergeht, dann bleiben von uns - uns allen - nur mehr geheiligte Gebeine. Gebeine sind rein. Sie sind unsterblich!«
    Die aberwitzige Niederschrift enthielt unter anderem eine Auflistung grausiger Experimente, mittels derer Schneider festzustellen suchte, auf welche Weise sich das Fleisch seiner Opfer am besten von den Knochen lösen ließe. Eine Methode hatte es ihm bei seinem makabren Treiben vor allem angetan. »Ich bin zu dem Schluß gelangt« - so führte er in seinem Tagebuch aus -, »daß es am besten ist, wenn ich den Leichnam schlichtweg in fruchtbarer Erde begrabe und das mühselige Werk der Natur

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