Der Knochenjäger
Steuergelder?«
»Sie haben ihn.«
»Was?« fragte Sellitto. »Einfach so? Herrgott. Weiß das Präsidium Bescheid?«
»Perkins hat den Bürgermeister angerufen. Der Kerl ist Taxifahrer. Hier geboren, aber der Vater ist Serbe. Deshalb glauben die, daß er's der UNO heimzahlen will oder irgendwas. Ist vorbestraft. Oh, und er wurde wegen psychischer Störungen behandelt. Dellray und das FBI-Einsatzkommando sind grade unterwegs zu ihm.«
»Wie haben sie das geschafft?« fragte Rhyme. »Ich wette, es war der Fingerabdruck.«
Sie nickte.
»Ich dachte mir schon, daß der noch eine wichtige Rolle spielen könnte. Sagen Sie mir, machen die sich überhaupt Gedanken wegen des nächsten Opfers?«
»Schon«, sagte sie, ohne eine Regung zu zeigen. »Aber vor allem wollen sie den Unbekannten schnappen.«
»Nun ja, das liegt in ihrer Natur. Aber lassen Sie mich raten! Die denken sich, daß er den Aufenthaltsort des Opfers preisgibt, wenn sie ihm nach der Festnahme tüchtig einheizen.«
»Ganz genau.«
»Das dürfte einige Mühe kosten«, sagte Rhyme. »Dies wage ich auch ohne Rücksprache mit Dr. Dobyns und anderen Kriminalpsychologen zu behaupten. Nun denn, ein Gesinnungswandel, Amelia? Warum sind Sie zurückgekommen?«
»Weil wir keine Zeit verlieren dürfen, egal, ob Dellray ihn festnimmt oder nicht. Wenn wir das nächste Opfer retten wollen, meine ich.«
»Oh, aber man hat uns ausgehebelt, haben Sie das noch nicht vernommen? Aus dem Verkehr gezogen, den Laden dichtgemacht.« Rhyme blickte in den dunklen Computermonitor und versuchte festzustellen, ob seine Haare noch gekämmt waren.
»Sie wollen aufgeben?« fragte sie.
»Officer«, setzte Sellitto an, »selbst wenn wir etwas unternehmen wollten, kämen wir ohne die Spuren nicht weiter. Sie sind der einzige Ansatz -«
»Ich habe sie.«
»Was?«
»Sämtliche Beweismittel. Sie sind unten im Kombi.«
Der Detective blickte aus dem Fenster.
»Die vom letzten Tatort«, fuhr Sachs fort. »Und auch die von den anderen Tatorten.«
»Sie haben sie?« fragte Rhyme. »Wie das?«
Sellitto lachte. »Sie hat sie geklaut, Lincoln. Verdammt noch mal!«
»Dellray braucht sie nicht«, erklärte Sachs. »Es sei denn, vor Gericht. Die haben den Täter, und wir retten das Opfer. Paßt doch bestens, oder?«
»Aber Mel Cooper ist gerade gegangen.«
»Nee, der ist drunten. Ich hab' ihn gebeten zu warten.« Sachs verschränkte die Arme. Sie warf einen Blick zur Wanduhr. Es war bereits nach elf. »Wir haben nicht viel Zeit«, wiederholte sie.
Auch er schaute auf die Uhr. Herrgott, war er müde. Thom hatte recht, seit Jahren war er nicht mehr so lange wach gewesen. Doch zu seiner Überraschung - nein, mit Erschrecken - mußte er feststellen, daß dieser Tag ihm zwar mancherlei Ärger, Beschämung und tiefste Enttäuschung beschert hatte, er aber nie das Gefühl gehabt hatte, die Zeit sei stehengeblieben und laste bleiern und unerträglich auf ihm. Wie in den letzten dreieinhalb Jahren.
»Nun ja, eine traute Runde zu später Stunde.« Rhyme lachte rauh. »Thom? Thom! Wir brauchen Kaffee. Und zwar plötzlich. Sachs, schaffen Sie die Cellophanproben und die Polaroidaufnahme von dem Stückchen, das Mel an dem Kalbsknochen gefunden hat, ins Labor. Sie sollen sie unter dem Polarisationsmikroskop vergleichen. Ich möchte in einer Stunde Bescheid bekommen. Und nicht den üblichen Mist von wegen >mit größter Wahrscheinlichkeit Ich will eine eindeutige Auskunft - bei welcher Lebensmittelkette hat unser Unbekannter die Kalbshaxe gekauft. Und du, Lon, holst deinen Schatten wieder hierher. Den Jungen, der nach dem Baseballspieler benannt.
Die schwarzen Kleinbusse rasten durch die Seitenstraßen.
Das war zwar nicht der direkte Weg zum vermeintlichen Wohnsitz des Täters, aber Dellray wußte, was er tat. Bei Anti-Terror-
Einsätzen sollte man die Hauptstraßen meiden, da die häufig von Helfershelfern überwacht wurden. Dellray saß hinten im führenden Wagen und zog den Klettverschluß seiner kugelsicheren Weste fest. Sie waren noch knapp zehn Minuten entfernt.
Er blickte auf die verfallenen Wohnhäuser, die mit Müll übersäten Grundstücke, an denen sie vorüberrasten. Als er das letztemal in dieser heruntergekommenen Gegend gewesen war, hatte er sich als Peter Haile Thomas ausgegeben, ein Rastafari aus Queens. Er hatte sechzig Kilo Kokain von einem mickrigen kleinen Puertoricaner gekauft, der im letzten Moment beschlossen hatte, den Käufer zu linken. Er hatte kurzerhand Dellrays
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