Der Knochenjäger
Den Blick unverwandt auf das Täterprofil gerichtet, fragte er: »Sagen Sie mal, schulde ich auch Ihnen Dank, Sachs? Haben Sie hier Florence Nightingale gespielt?« Gespannt wartete er auf ihre Antwort, wußte nicht, wie er ihr jemals wieder in die Augen schauen sollte, falls es so war.
»Nee«, antwortete Thom. »Ich allein habe dich gerettet. Wollte nicht, daß eins der anwesenden Sensibelchen beim Anblick deines schlaffen Hinterteils erschreckt von hinnen eilt.«
Dank' dir, Thom, dachte er. »Nun verzieh dich«, blaffte er. »Wir müssen über den Fall sprechen. Sachs und ich.«
»Du brauchst Schlaf.«
»Selbstverständlich. Aber dennoch müssen wir über den Fall sprechen. Gute Nacht, gute Nacht.«
Als Thom weg war, schenkte Sachs sich einen Schuß Macallan nach. Sie senkte den Kopf und genoß die rauchige Blume.
»Wer hat mich verpfiffen?« frage Rhyme. »Pete?«
»Wer?« fragte sie.
»Dr. Taylor, der Rückenmarkspezialist.«
Sie zögerte einen kurzen Moment, und das verriet ihm, daß es Taylor gewesen war. »Er sorgt sich um Sie«, sagte sie schließlich.
»Selbstverständlich. Das ist ja das Problem - Ich möchte, daß er sich ein bißchen weniger sorgt. Weiß er über Berger Bescheid?«
»Er hat einen Verdacht.«
Rhyme verzog das Gesicht. »Hören Sie, sagen Sie ihm, daß er nur ein alter Freund ist. Er ... was ist?«
Sachs hatte die Lippen geschürzt und stieß langsam die Luft aus, so als bliese sie Zigarettenrauch hinaus. »Sie verlangen von mir nicht nur, daß ich Ihnen erlaube, sich umzubringen, Sie wollen auch noch, daß ich den einzigen Menschen anlüge, der Ihnen die Sache ausreden könnte.«
»Er kann sie mir nicht ausreden«, erwiderte Rhyme.
»Warum soll ich ihn dann anlügen?«
Er lachte. »Lassen wir Dr. Taylor doch einfach noch ein paar Tage im Ungewissen.«
»Na schön«, sagte sie. »Herrgott, Sie können es einem vielleicht schwermachen.«
Er musterte sie eingehend. »Warum erzählen Sie es mir nicht?«
»Was?«
»Wer ist der Tote? Der Ihnen keine Ruhe läßt?«
»Das sind viele.«
»Zum Beispiel?«
»Schauen Sie in die Zeitung.«
»Kommen Sie, Sachs.«
Sie schüttelte den Kopf, blickte mit einem versonnenen Lächeln auf das Glas in ihrer Hand. »Nein, ich glaube, ich will nicht.«
Er führte ihr Schweigen darauf zurück, daß sie keine Lust hatte, mit jemandem, den sie erst einen Tag kannte, ein persönliches Gespräch zu führen. Was zwar nicht einer gewissen Komik entbehrte, wenn man bedachte, daß sie neben einem guten Dutzend Kathetern, einer Dose Vaseline und einer Packung Windeln saß. Doch weil er sie nicht weiter bedrängen wollte, schwieg er ebenfalls. Um so erstaunter war er, als sie plötzlich aufblickte und lossprudelte: »Es ist bloß ... Es ist bloß... Ach, verdammt.« Und sie begann zu weinen, schlug die Hände vors Gesicht und verschüttete gut zwei Fingerbreit vom Besten, was Schottland zu bieten hatte, über das Parkett.
SECHSUNDZWANZIG
»Ich kann kaum fassen, daß ich Ihnen das alles erzähle.« Sie hatte sich in den tiefen Sessel gekuschelt, die Beine angezogen und die Dienstschuhe abgestreift. Die Tränen waren getrocknet, doch ihr Gesicht war ebenso rot wie ihre Haare.
»Nur zu«, sagte er.
»Ich hab' Ihnen doch von dem Typen erzählt, mit dem ich zusammenziehen wollte.«
»Oh, der mit dem Collie. Sie haben nicht erwähnt, wer es war. Ihr Freund?«
Der heimliche Liebhaber? fragte sich Rhyme.
»Er war mein Freund.«
»Ich dachte, Sie hätten vielleicht Ihren Vater gemeint.«
»Nein, Papa ist zwar gestorben - vor drei Jahren, an Krebs -, aber wir haben gewußt, daß es so kommt. Wir waren sozusagen vorbereitet, soweit das überhaupt möglich ist. Aber bei Nick ...«
»Ist er umgekommen?« fragte Rhyme leise.
Doch sie ging nicht darauf ein. »Nick Carelli. Einer von uns. Ein Polizist. Detective, dritter Grad. War bei der Abteilung Straßenkriminalität.«
Der Name kam ihm bekannt vor. Rhyme sagte nichts, ließ sie weiterreden.
»Wir waren eine Zeitlang zusammen. Wollten irgendwann heiraten.« Sie stockte, so als müsse sie ihre Gedanken ordnen, sie aufreihen wie Pappkameraden am Schießstand. »Er hat im verdeckten Einsatz gearbeitet. Deshalb haben wir unsere Beziehung soweit wie möglich geheimgehalten. Draußen auf der Straße durfte sich nicht rumsprechen, daß er was mit einer Polizistin hat.« Sie räusperte sich. »Es ist schwer zu erklären. Wissen Sie, zwischen uns hat es ... einfach irgendwie gefunkt. Es war ... ich
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