Der Knochenjäger
Tusse heißen müßte und daß ich wohl auf Mädels stehe. Raten Sie mal, wie schnell sich das unter den Kollegen rumgesprochen hat.«
»Da draußen herrscht nicht das höchste Niveau, Sachs.« Sie holte tief Luft. »Ich hab' ihn vor Gericht gesehen, kurz vor Ende der Verhandlung. Er hat einmal zu mir hergeschaut und ... ich kann den Blick gar nicht beschreiben. Das reinste Herzeleid. Ach, er hat das alles gemacht, um mich zu schützen. Aber trotzdem ... Sie hatten recht, wissen Sie? Von wegen der Einsamkeit.« »Ich wollte nicht -« »Nein«, sagte sie mit ernstem Gesicht. »Ich habe Sie angegriffen und Sie mich. Das ist nur gerecht. Außerdem haben Sie recht. Ich bin nicht gern allein. Ich möchte ausgehen, ich möchte jemanden kennenlernen. Aber seit Nick ist mir die Lust auf Sex vergangen.« Sachs lachte bitter auf. »Jeder meint, daß es wer weiß wie wunderbar ist, wenn man so aussieht wie ich. Daß ich mir die Jungs bloß auszusuchen brauche. Völliger Quatsch. Die, die überhaupt den Mumm haben, sich mit mir zu verabreden, denken die ganze Zeit bloß ans Vögeln. Also hab' ich's einfach aufgegeben. Allein komm' ich besser klar. Ich hasse es, aber es ist einfacher.«
Nun verstand Rhyme endlich ihre Reaktion, als sie ihn zum erstenmal gesehen hatte. Sie hatte sich in seiner Gegenwart wohl gefühlt, weil er als Mann keine Bedrohung für sie darstellte. Sexuell nichts von ihr wollte. Jemand war, den sie nicht abwimmeln mußte. Und weil sie vermutlich meinte, eine gewisse Seelenverwandtschaft entdeckt zu haben - als ob ihnen beiden das gleiche wichtige Gen abginge.
»Wissen Sie«, sagte er scherzend, »wir beide, Sie und ich, sollten uns zusammentun, ohne ein Verhältnis zu haben.«
Sie lachte. »Erzählen Sie mir von Ihrer Frau. Wie lange waren Sie verheiratet?«
»Sieben Jahre. Sechs vor dem Unfall, eins danach.«
»Und sie hat Sie verlassen?«
»Nein. Ich habe sie verlassen. Ich wollte nicht, daß sie Schuldgefühle bekommt.«
»Das war edelmütig.«
»Ich hätte sie früher oder später ohnehin vergrault. Ich bin ein Ekel. Sie haben mich bislang nur von meiner netten Seite erlebt.« Einen Moment später fragte er: »Diese Sache mit Nick... hat die irgend etwas damit zu tun, daß Sie aus dem Streifendienst ausscheiden?«
»Nein. Na ja, doch.«
»Schußscheu?«
Nach einer Weile nickte sie. »Auf der Straße geht es heutzutage anders zu. Deswegen ist Nick so geworden, wissen Sie? Es hat ihn verdorben. Es ist nicht mehr so, wie es mal war, als Papa auf Streife gegangen ist. Damals war alles noch viel besser.«
»Sie meinen, es ist nicht wie in den Geschichten, die Ihr Vater erzählt hat.«
»Vielleicht«, räumte sie ein. Sie ließ sich tiefer in den Sessel sinken. »Wissen Sie, ich habe wirklich Arthritis, aber sie ist nicht so schlimm, wie ich es hinstelle.«
»Ich weiß«, sagte Rhyme.
»Sie wissen es? Woher?«
»Ich habe mir einfach die Hinweise angesehen und ein paar Schlußfolgerungen gezogen.«
»Waren Sie deswegen den ganzen Tag hinter mir her? Weil Sie gewußt haben, daß ich markiere?«
»Ich war hinter Ihnen her«, sagte er, »weil Sie besser sind, als Sie glauben.«
Sie warf ihm einen schiefen Blick zu.
»Ach, Sachs, Sie erinnern mich an mich selber.«
»Wirklich?«
»Ich will Ihnen mal eine Geschichte erzählen. Ich war vielleicht ein Jahr bei der Spurensicherung, als ein Anruf von der Mordkommission einging, daß man in einer Gasse im Greenwich Village einen Toten gefunden habe. Sämtliche Sergeants waren unterwegs, weshalb man mich für die Tatortarbeit auserwählte. Ich war sechsundzwanzig Jahre alt, müssen Sie bedenken. Ich gehe also hin, sehe mich um, und dabei stellt sich heraus, daß es sich bei dem Toten um den Leiter des städtischen Sozial- und Gesundheitsamtes handelt. Nun, und rund um ihn herum lag ein Haufen Polaroidfotos. Sie hätten diese Bilder mal sehen sollen - er war in einem der S&M-Clubs an der Washington Street gewesen. Oh, und ich vergaß zu erwähnen, daß er ein hinreißendes schwarzes Minikleid und schwarze Netzstrümpfe trug, als man ihn fand.
Ich sichere also den Tatort. Mit einemmal taucht ein Captain auf und will über die Absperrung steigen. Ich weiß, daß er vorhat, die Bilder auf dem Weg in die Asservatenkammer verschwinden zu lassen, aber ich war so naiv, daß es mir gar nicht so sehr um die Bilder ging - ich war nur besorgt, daß jemand über den Tatort laufen könnte.«
»S steht für Sichern des Tatorts.«
Rhyme kicherte. »Folglich habe
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