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Der Knochenjäger

Titel: Der Knochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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leises Geräusch hörte. Dann wurde es lauter - eine Art Scheppern. Er nahm seine Waffe und lief zur Rückseite des Hauses. Er entriegelte die Tür, stieß sie j äh auf, ergriff die Waffe mit beiden Händen und ging in Schußposition.
    Die wilden Hunde starrten ihn an. Im nächsten Moment widmeten sie sich wieder der Mülltonne, die sie umgekippt hatten. Er steckte die Waffe in die Hosentasche und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
    Wieder stand er am Fenster und blickte hinaus auf den alten Friedhof. O ja. Da! Da war der Mann wieder. Er trug schwarze Kleidung, stand mitten auf dem Friedhof. In der Ferne ragten die schwarzen Masten der Klipper und Schaluppen in den Himmel, die im East River vor Anker lagen.
    Der Knochensammler konnte die tiefe Trauer da draußen geradezu spüren. Er fragte sich, ob sich unlängst irgendeine Katastrophe zugetragen hatte. Vielleicht das große Feuer von 1776, bei dem ein Großteil der Häuser am Broadway zerstört worden waren. Oder die Gelbfieberepidemie, die 1795 die irische Gemeinde dezimiert hatte. Oder der Brand auf der General Slocum, einem Ausflugsdampfer, bei dem 1904 über tausend Frauen und Kinder umgekommen waren und der das deutsche Wohnviertel in der Lower East Side vernichtet hatte.
    Aber vielleicht ahnte er auch Katastrophen voraus, die sich in Bälde zutragen würden.
    Nach ein paar Minuten wurden Maggies Schreie leiser, und er hörte die Geräusche der alten Stadt, den Lärm der Dampfmaschinen, Glockengebimmel, Hufgeklapper, das auf dem Kopfsteinpflaster widerhallte.
    Er schaute weiter hinaus, vergaß die Konstabler, die ihn verfolgten, vergaß auch Maggie, hatte nur noch Augen für die geisterhafte Gestalt, die jetzt die Straße entlangspazierte.
    Damals und heute.
    Er blieb noch eine Weile am Fenster stehen, versunken in eine andere Zeit. Und so bemerkte er nicht, wie die wilden Hunde durch die Hintertür eindrangen, die er offen gelassen hatte. Sie betrachteten ihn durch die Wohnzimmertür, verharrten kurz und verzogen sich dann leise in den hinteren Teil des Hauses.
    Witternd hoben sie die Schnauzen, lauschten mit gespitzten Ohren auf die unbekannten Geräusche in diesem Haus. Vor allem auf das leise Weinen, das irgendwo unter ihnen ertönte.
    Schließlich teilten sich sogar die Hardy Boys auf - ein Zeichen dafür, wie verzweifelt sie waren.
    Bedding kämmte ein halbes Dutzend Straßen rund um die Delancey Street ab, Saul suchte weiter südlich. Sellitto und Banks hatten jeweils ein Gebiet unter sich, und die vielen anderen Hilfskräfte, FBI-Agenten, Stadt- und Staatspolizisten, gingen von Tür zu Tür, erkundigten sich nach einem schmächtigen Mann, einem weinenden Kleinkind, einem silbernen Ford Taurus, einem leerstehenden Haus im Federal Style mit einer Fassade aus rosa Marmor, die anderen Wände aus dunklem Klinker.
    Häh? Was, zum Teufel, meinen Sie mit Federal?... Ob ich ein Kind geseh'n hab'? Sie fragen, ob ich an der Lower East Side schon mal 'n Kind geseh'n hab'? He, Jimmy, haste hier in der Gegend schon mal irgendwelche Kids gesehen? Aber nicht in der letzten, was, halben Minute.
    Amelia Sachs ließ ihre Muskeln spielen. Sie hatte unbedingt Sellittos Trupp zugeteilt werden wollen, der sich den ShopRite-Laden an der Houston Street Ecke Lafayette vornahm, wo Nummer 238 die Kalbshaxe gekauft hatte. Und die Tankstelle, an der er das Benzin besorgt hatte. Die Bibliothek, aus der er Berühmte Kriminalfälle im alten New York gestohlen hatte.
    Doch nachdem sie keinerlei Anhaltspunkte gefunden hatten, hatten sie sich in alle Winde zerstreut wie ein Wolfsrudel, das einem Dutzend verschiedener Duftmarken folgt. Jeder hatte sich einen Teil des Viertels ausgesucht und kämmte ihn nun ab.
    Während Sachs den Motor des neuen Spurensicherungskombis hochjagte und ihr Glück in einem weiteren Straßenzug versuchte, packte sie das gleiche Ohnmachtsgefühl wie bei der Tatortarbeit in den letzten Tagen: zu viele Spuren, ein viel zu großes Gebiet. Es war hoffnungslos. Hier, in den heißen, dampfenden Straßen, von denen Hunderte von anderen Straßen und Gassen abzweigten, unter zigtausend Gebäuden - allesamt alt - das richtige zu finden, kam ihr völlig unmöglich vor. Es war, als sollte sie das durch den Rückstoß eines .38er Revolvers an der Decke haften gebliebene Haar finden, von dem Rhyme ihr berichtet hatte.
    Ursprünglich hatte sie vorgehabt, jede Straße Stück für Stück abzukämmen, doch die Zeit verrann viel zu schnell; ständig mußte sie an das Kind denken, das

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