Der Knochenjäger
dem Finger auf seine Brust. »Wie war das jetzt mit den Flughäfen? Welcher? John E Kennedy, La Guardia?«
»Weiß ich nicht. Ich weiß bloß, daß das Gerücht geht, daß irgendwer auf 'nem Flughafen hier aufkreuzen soll. Jemand, der ziemlich übel drauf sein soll.«
»Nenn mir 'nen Namen.«
»Ich weiß keinen Namen.«
»Wo ist Jackie?«
»Weiß nicht. Südafrika, glaub' ich. Vielleicht auch in Liberia.«
»Was soll das Ganze bedeuten?« Dellray knetete wieder seine Zigarette.
»Ich schätz' halt, daß womöglich irgendwas läuft, weißte, und daß zu der Zeit keiner irgendwelche Lieferungen ranschaffen soll.«
»Schätzt du.« Der Stinker wand sich, aber Dellray dachte nicht daran, den kleinen Kerl noch weiter zu quälen. Dellray war hellhörig geworden. Jackie - ein Waffenhändler, der bei den Bundesbehörden seit einem Jahr bekannt war - könnte von einem seiner Kunden, Söldnern in Afrika und Mitteleuropa sowie militanten Rechten in Amerika, irgend etwas über einen geplanten Terroranschlag auf die Flughäfen gehört haben. Normalerweise hätte er nicht das geringste darauf gegeben, wenn da nicht letzten Abend die Entführung am Kennedy Airport gewesen wäre. Er hatte der Sache kein besonderes Augenmerk geschenkt - es war ein Fall für die New Yorker Polizei. Doch jetzt mußte er auch an den mißglückten Bombenanschlag auf die UNESCO-Konferenz in London denken.
»Und mehr hat dir dein Kumpel nicht erzählt?«
»Nein, Mann. Mehr nicht. He, ich hab' Hunger. Können wir irgendwas essen?«
»Weißt du noch, was ich dir von wegen Haltung gesagt hab'? Hör auf zu jammern.« Dellray stand auf. »Ich muß mal telefonieren.«
Schlitternd kam der schnelle Einsatzwagen an der Sechzigsten Straße zum Stehen.
Sachs schnappte sich den Spurensicherungskoffer, das Polilight und die große, zwölf Volt starke Handlampe.
»Seid ihr rechtzeitig zu ihr vorgedrungen ?« rief Sachs einem Mann vom Einsatzkommando zu. »Geht es ihr gut?«
Zunächst antwortete ihr niemand. Dann hörte sie die Schreie.
»Was geht hier vor?« murmelte sie und rannte zu der großen Tür, die vom Einsatzkommando bereits eingeschlagen worden war. Dahinter befand sich eine Zufahrt, die unter einen alten Ziegelbau führte. »Ist sie etwa noch da drin?«
»Ganz recht.«
»Warum?« herrschte Amelia Sachs ihn fassungslos an.
»Man hat uns gesagt, wir sollen nicht reingehen.«
»Nicht reingehen? Sie schreit. Hört ihr das nicht?«
»Man hat uns gesagt, wir sollen auf Sie warten«, sagte der Polizist.
Man. Nein, nicht man. Lincoln Rhyme. Dieser Mistkerl.
»Wir sollten sie bloß finden«, sagte der Polizist. »Reingehen sollen Sie.«
Sie setzte den Kopfhörer auf und schaltete das Funkgerät ein. »Rhyme!« brüllte sie. »Sind Sie da?«
Keine Antwort. Verdammter Feigling.
Sie müssen lernen, die Toten ruhen zu lassen ... Mistkerl! Wütend war sie ja schon gewesen, als sie vor ein paar Minuten die Treppe in seinem Stadthaus hinuntergestürmt war, doch jetzt war sie mindestens doppelt so sauer.
Sachs warf einen Blick nach hinten und bemerkte einen Notarzt, der neben einem Rettungswagen stand.
»Sie da, kommen Sie mit.«
Er trat einen Schritt vor und sah, wie sie die Waffe zog. Er blieb stehen.
»Hoppla, ohne mich«, sagte der Notarzt. »Ich muß da nicht rein, solange der Bereich nicht gesichert ist.«
»Los jetzt!« Sie fuhr herum, und er sah die Mündung näher auf sich zukommen, als ihm lieb war. Er verzog das Gesicht und folgte ihr schleunigst.
Von unten hörten sie: »Aimi! Hilfe!« Danach Schluchzen.
Herrgott. Sachs rannte auf die rund dreieinhalb Meter hohe Einfahrt zu, auf die tiefe Dunkelheit dahinter.
Sie sind der Täter, Amelia, ging es ihr durch den Kopf Was denken Sie?
Laß mich in Ruhe, sagte sie tonlos.
Doch Lincoln Rhyme ließ sie nicht in Ruhe.
Sie sind ein Killer und Kidnapper, Amelia. Welchen Weg würden Sie gehen, was würden Sie berühren?
Von wegen! Ich werde sie retten. Zum Teufel mit der Tatortarbeit...
»Mein Gott! Bitte! Helft mir doch. Helft mir bitte!«
Los, rief Sachs sich zu. Schnell! Er ist nicht hier drin. Dir passiert nichts. Hol sie raus, los ...
Sie lief schneller, hörte, wie die Ausrüstung an ihrem Uniformgürtel schepperte. Nach fünf, sechs Metern blieb sie stehen. Überlegte. Das Ergebnis gefiel ihr nicht.
»O Scheiße«, stieß sie aus. Sie stellte den Koffer ab und öffnete ihn. »Sie da, wie heißen Sie?« herrschte sie den Notarzt an.
»Tad Walsh«, antwortete der junge Mann, dem
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