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Der Knochenjäger

Titel: Der Knochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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sichtlich unwohl zumute war. »Ich meine, was geht da vor?« Er blickte hinab in die Finsternis.
    »Oh ... Bitte, helfen Sie mir!«
    »Geben Sie mir Deckung«, flüsterte Sachs.
    »Ihnen Deckung geben? Moment mal. So was mach' ich nicht.«
    »Sie nehmen die Waffe, in Ordnung?«
    »Gegen wen oder was soll ich Sie denn decken?«
    Sie drückte ihm die Automatik in die Hand und kniete sich hin. »Sie ist entsichert. Seien Sie vorsichtig.«
    Sie nahm zwei Gummiringe und zog sie über ihre Schuhe. Nahm dann die Pistole wieder an sich und befahl ihm, es ihr gleichzutun.
    Mit zitternden Händen zog er die Gummis über.
    »Ich habe bloß gedacht -«
    »Leise. Er könnte noch da drin sein.«
    »Nun warten Sie mal einen Moment«, flüsterte der Notarzt. »So was entspricht nicht meiner Arbeitsplatzbeschreibung.«
    »Meiner auch nicht. Halten Sie das Licht.« Sie reichte ihm die Handlampe.
    »Aber wenn er noch da ist, schießt er vermutlich auf das Licht. Ich meine, ich würde jedenfalls darauf schießen.«
    »Dann halten Sie es hoch. Über meine Schulter. Ich geh' voran. Wenn jemand was abkriegt, dann bin ich es.«
    »Und was mach' ich dann?« Tad klang wie ein Teenager.
    »Ich persönlich würde schleunigst davonlaufen«, murmelte Sachs. »Folgen Sie mir jetzt. Und halten Sie die Lampe ruhig.«
    Sie nahm den schwarzen Spurensicherungskoffer in die linke Hand, hielt mit der rechten die Waffe im Anschlag und blickte auf den Boden, während sie in die Dunkelheit vordrangen. Sie sah wieder die bereits bekannten Besenspuren - genau wie am anderen Tatort.
    »Bitte nicht, bitte nicht, bitte...« Ein kurzer Aufschrei, dann Stille.
    »Was, zum Teufel, geht da vor?« flüsterte Tad.
    »Schhhh«, zischte Sachs.
    Langsam gingen sie weiter. Sachs blies ihre Hand an, mit der sie die Glock hielt - um den glitschigen Schweißfilm zu trocknen -, und ließ den Blick vorsichtig über die hölzernen Stützpfeiler, die dunklen Winkel und die ausrangierten Maschinenteile schweifen, die vom zitternden Schein der Taschenlampe erfaßt wurden.
    Sie entdeckte keine Fußspuren.
    Natürlich nicht. Er war schlau.
    Aber wir sind ebenfalls schlau, hörte sie Lincoln Rhyme sagen. Und sie befahl ihm, den Mund zu halten.
    Langsam jetzt.
    Noch anderthalb Meter. Abwarten. Dann wieder langsam vorrücken. Nicht auf das Jammern des Mädchens achten. Wieder hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden, als würde sie von jemandem ins Visier genommen. Die kugelsichere Weste, dachte sie, hält ein Stahlmantelgeschoß nicht auf. Und fünfzig Prozent aller Kriminellen verwenden ohnehin Dumdum-Geschosse - damit war ein Treffer am Arm oder am Bein genauso tödlich wie ein Schuß in die Brust. Und erheblich schmerzhafter. Nick hatte ihr geschildert, wie diese Kugeln das Fleisch zerrissen - einer seiner Kollegen, den zwei dieser Geschosse getroffen hatten, war in seinen Armen gestorben.
    Über oder hinter dir...
    Beim Gedanken an ihn fiel ihr ein, wie sie eines Nachts an seiner breiten Brust gelegen und die Silhouette seines hübschen Gesichts auf ihrem Kissen betrachtet hatte, während er ihr das Vorgehen bei einer Geiselbefreiung erklärte - »Wenn dich beim Eindringen jemand umlegen will, lauert er immer über oder hinter dir ...«
    »Mist.« Sie ging in die Hocke, fuhr herum und richtete die Glock zur Decke, bereit, sofort das ganze Magazin leer zu schießen.
    »Was ist?« flüsterte Tad und duckte sich. »Was gibt's?«
    Nur gähnende Leere.
    »Gar nichts.« Sie atmete tief durch und stand auf.
    »Machen Sie das nicht noch einmal.«
    Vor ihnen ertönte ein erstickter Laut.
    »Herrgott«, meldete sich Tad wieder mit hoher Stimme. »Ich halt' das nicht aus.«
    Der Typ ist 'ne Heulsuse, dachte sie. Ich weiß es, weil er all das sagt, was mir auf der Zunge liegt.
    Sie blieb stehen. »Leuchten Sie mal dahin. Nach vorn.«
    »Ach, du lieber...«
    Jetzt begriff Sachs, was es mit den Haaren auf sich hatte, die sie am letzten Tatort gefunden hatte. Sie erinnerte sich an den Blick, den sich Sellitto und Rhyme zugeworfen hatten. Er hatte gewußt, was der Täter vorhatte. Er hatte gewußt, was mit ihr geschah - und dennoch hatte er die Einsatzkräfte warten lassen. Dafür haßte sie ihn um so mehr.
    Vor ihnen lag eine pummelige junge Frau inmitten einer Blutlache am Boden. Mit glasigen Augen starrte sie ins Licht und verlor im nächsten Moment die Besinnung. Im gleichen Augenblick kroch eine riesige schwarze Ratte - etwa so groß wie eine Hauskatze - auf ihren Bauch und näherte sich

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