Der Knochenjäger
der Kehle der Frau. Sie fletschte die gelben Zähne und wollte sie ins Kinn des Opfers graben.
Ruhig hob Sachs die klobige schwarze Glock und stützte sie mit der linken Hand ab. Sie zielte genau.
Beim Schießen kommt's auf die Atemtechnik an.
Einatmen, ausatmen. Abdrücken.
Es war das erstemal, daß Sachs im Dienst ihre Waffe abfeuerte. Vier Schuß. Die riesige schwarze Ratte, die auf der Brust des Mädchens hockte, wurde buchstäblich zerrissen. Sie traf eine weitere, die dahinter am Boden saß, und eine dritte, die vor Schreck auf Sachs und den Notarzt zurannte. Die anderen verschwanden sofort in der Dunkelheit.
»Herrgott«, sagte der Notarzt. »Sie hätten die Frau treffen können.«
»Aus zehn Metern Entfernung?« knurrte Sachs. »Wohl kaum.«
Haumann meldete sich über Funk und fragte, ob sie beschossen würden.
»Negativ«, erwiderte Sachs. »Hab' bloß auf ein paar Ratten geschossen.
»Verstanden. Ende.«
Sie nahm dem Notarzt die Handlampe ab, leuchtete nach unten und rückte weiter vor.
»Alles in Ordnung, Miss«, rief Sachs. »Sie sind in Sicherheit.«
Das Mädchen schlug die Augen auf und warf den Kopf hin und her.
»Bitte, bitte ...«
Sie war kreidebleich. Die blauen Augen hefteten sich auf Sachs, als hätte sie Angst, den Blick abzuwenden. »Bitte ... bitte ...« Ihr Flehen ging in einen schrillen Klagelaut über, und sie fing an zu weinen und panisch um sich zu schlagen, als der Notarzt Mullbinden auf ihre Wunden drückte.
Sachs hielt ihren blutigen Kopf und flüsterte. »Alles wird gut, meine Kleine, alles wird wieder gut...«
VIERZEHN
Von dem hoch über Downtown Manhattan gelegenen Büro aus hatte man freien Blick nach New Jersey. Der Sonnenuntergang war atemberaubend - unter anderem auch wegen der starken Luftverschmutzung.
»Wir müssen.«
»Wir können nicht.«
»Wir müssen«, wiederholte Fred Dellray und trank einen Schluck Kaffee - er war noch schlechter als der in der Kneipe, in der er und der Stinker noch vor kurzem gesessen hatten. »Nehmen Sie ihnen die Sache aus der Hand. Die werden sich damit abfinden.«
»Es ist ein Fall für die Hiesigen«, erwiderte der stellvertretende Leiter des FBI-Büros in Manhattan, der den Titel Assistant Special Agent in Charge trug. Der ASAC war ein Mann, der alles ganz genau nahm, aber niemals Undercover-Arbeit machen könnte, denn wenn man ihn sah, dachte man sofort: Ach, schau an, ein FBI-Agent.
»Ist es nicht. Die Hiesigen behandeln ihn bloß so. Aber es ist eine ganz große Sache.«
»Uns fehlen achtzig Leute wegen der UN-Geschichte.«
»Und sie hat irgendwas damit zu tun«, sagte Dellray. »Da bin ich mir hundertpro sicher.«
»Dann sagen wir den UN-Sicherheitskräften Bescheid. Die sollen jeden ... Ach, schauen Sie mich nicht so an.«
»Den UN-Sicherheitskräften? UN-Sicherheitskräfe? Schon mal den Begriff Oxymoron gehört? ... Billy, haben Sie das Bild gesehen? Von dem Tatort heute morgen? Die Hand, die aus dem Boden ragt, und der Finger, an dem kein Stück Haut mehr dran ist? Da draußen geht ein schwer durchgeknallter Typ um.«
»Die New Yorker Polizei hält uns auf dem laufenden«, erwiderte der ASAC rasch. »Unsere Kriminalpsychologen stehen auf Abruf bereit.«
»Ach, du lieber Vater. >Psychologen auf Abruf«? Wir müssen diesen Killer schnappen, Billy. Schnappen müssen wir ihn. Nicht rausfieseln, wie's bei dem in der Birne tickt.«
»Erzählen Sie mir noch mal, was Ihr Spitzel gesagt hat.«
Dellray erkannte auf Anhieb, wann sich eine Bresche auftat Und er gedachte sie zu nutzen, ehe sie wieder geschlossen wurde. Volles Rohr jetzt - und er rasselte alles runter, was er vom Stinker wußte und von Jackie, der in Johannesburg steckte oder in Monrovia, und das Gerücht, das klammheimlich in der illegalen Waffenszene umging, wonach diese Woche auf einem New Yorker Flughafen noch was passierte und man sich daher lieber fernhalten sollte. »Der steckt dahinter«, sagte Dellray. »Garantiert.«
»Die New Yorker Polizei hat bereits ein Einsatzteam aufgestellt.«
»Aber keine Anti-Terror-Leute. Ich hab' rumtelefoniert. Die Jungs bei AT wissen null Bescheid. Bei der hiesigen Polizei heißt's doch bloß: >Tote Touristen ist gleich schlechter Ruf<. Ich will diesen Fall übernehmen, Billy« Und Fred Dellray sagte sogar das eine Wort, das er in den acht Jahren, die er als Undercover-Agent arbeitete, nie in den Mund genommen hatte: »Bitte.«
»Welche Begründung schlagen Sie vor?«
»O-oh, die Fangfrage«, sagte Dellray
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