Der Knochenjäger
Rhyme. »Sonst noch was?«
»Und hier sind die Fotos vom Tatort«, sagte Sachs, »und von den Fingerabdrücken. Dem an ihrem Hals und vom anderen, den er beim Aufheben des Handschuhs hinterlassen hat.« Sie hielt sie hoch.
»Gut«, sagte Rhyme, während er sie eingehend betrachtete.
Sie strahlte, kostete, wenn auch zögernd, ihren Triumph aus - das Hochgefühl des Erfolgs, die Kehrseite der Selbstkritik, die man ob der eigenen Unzulänglichkeit empfindet.
Rhyme musterte noch immer die Polaroidaufnahme der Fingerabdrücke, als er Schritte auf der Treppe hörte und Jim Polling eintraf. Er trat in das Zimmer, schaute zweimal auf den zurechtgemachten Lincoln Rhyme und ging dann zu Sellitto.
»Ich war gerade am Tatort«, sagte er. »Ihr habt das Opfer gerettet. Gute Arbeit, Jungs.« Er nickte Sachs zu, um ihr zu zeigen, daß sie für ihn zu den »Jungs« zählte. »Oder hat das Arschloch etwa schon wieder jemanden entführt?«
»Er ist dabei«, murmelte Lincoln Rhyme, während er die Fingerabdrücke betrachtete.
»Wir untersuchen gerade die Spuren«, sagte Banks.
»Jim, ich telefoniere die ganze Zeit hinter Ihnen her«, sagte Sellitto. »Ich hab's sogar schon beim Bürgermeister versucht.«
»Ich war beim Chef. Er mußte regelrecht betteln, damit er mehr Leute kriegt. Hat weitere fünfzig Mann vom UN-Sicherheitsdienst abziehen können.«
»Captain, wir müssen miteinander reden. Es gibt da ein Problem. Am letzten Tatort ist etwas vorgefallen ...«
Eine bislang unbekannte Stimme dröhnte durch das Zimmer. »Ein Problem? Wer hat ein Problem? Hier gibt's doch keine Probleme, oder? Nicht die geringsten.«
Rhyme blickte zu dem großen, hageren Mann, der in der Tür stand. Er war pechschwarz, trug einen lächerlichen grünen Anzug und ein Paar spiegelblank polierte braune Schuhe. Rhyme verlor jeden Mut. »Dellray.«
»Lincoln Rhyme. Der Meisterdetektiv von New York. He, Lon. Und Jim Polling. Wie läuft's, mein Gutester?«
Hinter Dellray stand ein halbes Dutzend Männer und Frauen. Rhyme wußte sofort, was die FBI-Agenten hier wollten. Dellray musterte die anwesenden Polizisten, hielt bei Sachs einen Moment lang inne und wandte sich dann ab.
»Was wollt ihr?« fragte Polling.
»Haben die Herren das etwa noch nicht erraten? Ihr seid außen vor. Wir machen den Laden dicht. Jawoll, Sir. Nichts geht mehr. Genau wie beim Buchmacher.«
SIEBZEHN
Einer von uns.
Das besagte der Blick, mit dem Dellray Lincoln Rhyme musterte, als er um das Bett herumging. Manche Menschen benahmen sich so. Ein Gelähmter war etwas Absonderliches, zu dem man Zugang bekam, indem man Witze riß, fröhlich nickte, mit den Augen zwinkerte. Du weißt, daß ich dich mag, weil ich mich über dich lustig mache.
Lincoln Rhyme wußte aus Erfahrung, daß einem diese Haltung sehr, sehr schnell auf den Geist ging.
»Schau dir das an«, sagte Dellray und drückte auf das Clinitron. »Stammt wohl vom Raumschiff Enterprise. Commander Riker, schwingen Sie sich gefälligst in das Shuttle.«
»Gehen Sie, Dellray«, sagte Polling. »Das ist unser Fall.«
»Und wie geht's unserem Patienten hier, Dr. Crusher?«
Der Captain trat einen Schritt vor, baute sich wie ein Kampfhahn vor dem schlaksigen FBI-Agenten auf, der ihn um Haupteslänge überragte. »Dellray, haben Sie gehört? Sie sollen gehen.«
»Mann, so eins muß ich mir auch besorgen, Rhyme. Da kann ich mich hinhauen und mir ein Spiel reinziehen. Ernsthaft, Lincoln, wie geht's? Ist 'n paar Jährchen her.«
»Haben sie angeklopft?« erkundigte sich Rhyme bei Thom.
»Nein, sie haben nicht angeklopft.«
»Ihr habt nicht angeklopft«, sagte Rhyme. »Deshalb schlage ich vor, daß ihr geht.«
»Hab' hier 'nen Wisch«, murmelte Dellray und blätterte in den Papieren in seiner Brusttasche herum.
Amelia Sachs rupfte mit dem rechten Zeigefinger an ihrem Daumennagel herum, der bald anfangen würde zu bluten.
Dellray blickte sich im Zimmer um. Er war sichtlich beeindruckt von dem improvisierten Labor, unterdrückte diese Regung aber rasch. »Sorry, aber jetzt übernehmen wir.«
Rhyme war zwanzig Jahre bei der Polizei gewesen, aber er hatte noch nie erlebt, daß ihm ein Fall derart rigoros aus der Hand genommen wurde.
»Verdammt, Dellray«, sagte Sellitto. »Ihr habt den Fall abgegeben.«
Der Agent schaute vom einen zum anderen und wandte sich schließlich von oben herab an den Kriminalpolizisten.
»Abgegeben? Abgegeben? Ich hab' keinen Ton davon gehört. Hast du mich
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